Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
„Warum?“
Er warf ihr einen gehetzten Blick über die Schulter zu. „Das erkläre ich dir auf dem Weg. Aber jetzt beeil dich. Wenn sie dich sehen, kann ich dich nicht mehr retten.“
Auf einmal stellte sich Danika wie eine Furie vor sie. „Sie geht nirgendwo mit dir hin. Keine von uns, ganz egal, wie viele Waffen du auf uns richtest. Du und deine Freunde, ihr könnt uns mal!“
„Später vielleicht“, erwiderte er trocken, ohne den Blick von Ashlyn zu wenden. „Bitte. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Du willst Maddox doch wiedersehen, oder?“
Maddox. Allein der Klang seines Namens ließ ihr Herz schneller schlagen. Ich muss wirklich das dämlichste Mädchen auf der ganzen Welt sein. Sie umarmte Danika und flüsterte: „Ist schon in Ordnung.“
„Aber …“
„Vertrau mir.“ Sie löste sich von dem Mädchen und stolperte vorwärts. Der Engel wich zurück, als wäre sie eine Stange Dynamit.
„Ihr anderen bewegt euch nicht“, befahl er, während er hastig zurückging, um den Abstand zu wahren. „Sonst schieße ich. Fragen stelle ich immer erst hinterher.“ Er behielt Ashlyn im Auge und blieb im Flur stehen.
Als sie vor ihm stand, fügte er hinzu: „Fass mich nicht an. Es geschehen unschöne Dinge, wenn mich jemand berührt. Halt genug Abstand, damit du nicht auf mich fällst, falls du stolperst.“ Er sprach mit todernster Stimme, und sein Blick war plötzlich leer.
„Okay“, erwiderte sie verwirrt. Sie verschränkte die Hände hinter dem Rücken und wartete darauf, dass er voranging.
Er bewegte sich in einem großen Kreis um sie herum, wobei er weiterhin die Waffe auf sie richtete, schloss die Tür und verriegelte sie. Ashlyn versuchte nicht, ihn zu drängen. Sie war starr vor Angst.
„Was für unschöne Sachen?“, hakte sie nach, als er ihr den Rücken zuwandte.
Er setzte sich in Bewegung. „Krankheit. Leid. Tod“, antwortete er über die Schulter. Er steckte die Waffe in den Hosenbund. „Sobald ich Hautkontakt zu einem anderen Lebewesen habe, löse ich eine Seuche aus.“
Gütiger Gott. Ob es stimmte oder nicht, allein die Vorstellung reichte, um sich von ihm fernzuhalten. Aber sie vermutete, dass er die Wahrheit sagte. Die beiden Male, die sie ihn gesehen hatte, hatte er sich bemüht, eine große Distanz zu allen Anwesenden zu wahren. Und zwar nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil er sich mehr um andere sorgte, als um sich selbst. Sie fühlte Mitleid für ihn. Dusselige Kuh.
„Wie heißt du?“
„Torin.“ Er schien von der Frage überrascht.
„Du hast doch nicht vor, mich umzubringen, oder, Torin?“
Er schnaubte. „Wohl kaum. Wenn ich das täte, würde Maddox mir das Herz herausreißen und es den anderen zum Frühstück servieren.“
„So genau wollte ich es gar nicht wissen.“ Doch sie verspürte ein albernes, schulmädchenhaftes Glücksgefühl. Dann bedeutete sie Maddox also doch etwas? Wenigstens ein klitzekleines bisschen? Falls ja, wo war er dann? Warum hatte er sie nicht geholt?
Leise führte Torin sie durch das Labyrinth unzähliger Flure. Alle paar Minuten blieb er stehen, horchte und bedeutete ihr, sich in dunklen Ecken zu verstecken. „Sei still“, raunte er, als sie den Mund aufmachte, um ihn etwas zu fragen.
„Wann immer du bereit bist zu reden, bin ich bereit zu erfahren, was hier eigentlich vorgeht“, flüsterte sie.
Er ignorierte sie. „Wir sind fast da.“
„Wo?“ Je weiter sie gingen, umso deutlicher vernahm sie … ja, was war das?
Im nächsten Moment wusste sie es.
Ihr Magen verkrampfte sich. Schreie. Qualvolle Schreie. Dieses Geräusch hatte sie erst ein Mal gehört. Genau ein Mal zu viel.
„Maddox“, stieß sie hervor. Nicht schon wieder!
Sie war jetzt ganz in seiner Nähe. Sie hörte das tiefe Timbre seiner Stimme. Seiner und der zweiten Stimme, die sich immer wieder darunter mischte. Sie verspürte den Drang, sich zu übergeben. Fast hätte sie Torin überholt, doch aus Angst, er könnte sie festhalten, blieb sie hinter ihm. „Beeil dich, Torin. Bitte beeil dich. Ich muss ihm helfen. Wir müssen sie aufhalten.“
„Da rein“, befahl er, öffnete eine Tür und trat beiseite. Sie rannte in das Zimmer und sah sich fieberhaft nach Maddox um. Sie erspähte eine Truhe, ein Bärenfell, ein Himmelbett, aber keinen Maddox. Irritiert und fast wahnsinnig vor Sorge wirbelte sie herum.
„Wo ist er?“ Sie musste zu ihm, ganz gleich, was er ihr angetan hatte oder was er für sie empfand.
Er durfte nicht so leiden.
„Mach dir um
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