Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
Maddox keine Sorgen. Du weißt, dass er es überleben wird. Du solltest dich lieber um dich selbst sorgen. Sie wollen dich in die Stadt bringen, aber das kann ich nicht zulassen. Maddox würde uns alle im Schlaf umbringen. Also verhalte dich bitte ruhig – wenn schon nicht um deinetwillen, dann wenigstens um meinetwillen. Sie werden nicht viel Zeit haben, nach dir zu suchen. Wenn du dich benimmst, überlebst du vielleicht.“ Dann machte er die Tür zu.
Sie hörte ein Klicken, als das Schloss zuschnappte.
In ihrem Innern kämpften Angst und Unsicherheit miteinander. Sie wusste nicht, ob Torin die Wahrheit gesagt hatte, und es war ihr auch egal. Sie musste zu Maddox. Wieder durchbohrte sein Schreien die Luft, drang durch die Felsen und hüllte sie ein.
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie eilte zur Tür und versuchte mit zitternder Hand, den Knauf umzudrehen. Er bewegte sich nicht einen Millimeter. Verflixt! Sie würde sich ruhig verhalten, aber sie würde nicht in diesem Zimmer bleiben.
Sie drehte sich hastig um und suchte die Umgebung mit dem Blick einer Diebin ab. Der gesamte Raum war von einer dicken Staubschicht bedeckt, als wäre seit Jahren niemand mehr hier gewesen. Nirgendwo stand Schnickschnack herum. Nichts, womit sie das Schloss hätte aufbrechen können.
Sie ging zum Fenster und zog die Vorhänge auf. Ihr bot sich ein herrlicher Ausblick über den Berg, der weiß und majestätisch vor ihr lag. Von dem Balkon ging es … sie schnappte nach Luft … ganz schön steil nach unten. Bloß nicht runterfallen. Zum Glück ließ sich das Doppelglasfenster leicht öffnen. Ashlyn ignorierte die eisige Luft, die ihr entgegenschlug, und spähte nach rechts und links. Wenige Meter weiter war noch ein Balkon.
Maddox schrie lange und laut.
Mit schwitzigen Handflächen lief sie zum Bett. Sie hatte eine Idee. Eine gefährliche Idee. Eine dumme Idee. „Die einzige Idee“, murmelte sie, während sie mit einer schnellen Handbewegung die Laken vom Bett riss.
Der Staub verstopfte ihr Nase und Mund, und sie musste husten. Aber sie machte weiter und verknotete das Bettlaken mit dem Deckenbezug. „Das sieht man doch ständig in Filmen. Du kriegst das schon hin.“ Vielleicht. Für Schauspieler gab es Netze – und Stuntmen. Sie hatte weder das eine noch das andere.
Wieder ein Schrei.
Als sie zum Fenster zurückrannte, drehte sich ihr der Magen um. Das übergroße T-Shirt und die Jogginghose, die sie trug, schützten sie nur unzureichend vor der Kälte. Dennoch kletterte sie ohne zu zögern auf den Balkon. Als ihre nackten Füße die eiskalten Steine berührten, sog sie die Luft zwischen den Zähnen ein. Ein eisiger Wind wehte.
Mit zitternden Fingern machte sie ein Ende des provisorischen Seils am Balkongeländer fest und schickte dabei kleine Atemwölkchen in den Himmel. Doppelknoten. Dreifachknoten. Einmal kräftig daran gezogen.
Es hielt.
Aber würde es auch ihr Gewicht halten? Nachdem sie sich vorher fast die Eingeweide aus dem Leib gewürgt hatte, war sie vermutlich ein paar Kilo leichter. Immerhin ein kleiner Vorteil.
Inzwischen zitterte sie heftiger. Sie kletterte über die rostigen Metallstäbe, die eine rötliche Spur auf ihrer Kleidung hinterließen. Sie zwang sich, nicht nach unten zu sehen. „Du brauchst keine Angst zu haben. Es geht hier schließlich nicht fünftausend Meter in die Tiefe.“
Sie ließ sich an den Laken hinab. Ein Knacken. Ein Ratschen. Ihr blieb fast das Herz stehen. „Maddox braucht dich. Vielleicht bedeutest du ihm sogar was. Vielleicht hält er dich auch für eine Lügnerin und eine hinterhältige Mörderin, vielleicht mag er dich kein Stück und hat nur versucht, dir Antworten zu entlocken – aber auf keinen Fall verdient er es, so zu leiden. Du bist die Einzige hier, die so denkt, und somit bist du seine einzige Hoffnung.“
Meine Güte, ich höre mich ja an wie Prinzessin Leia aus Star Wars.
Aber sie musste unbedingt die Stille füllen, die sie zuvor so genossen hatte. Sonst würde sie nur daran denken abzurutschen und zu sterben – oder, was noch schlimmer wäre, zu versagen. „Du machst das gut. Weiter so.“
Als sie gänzlich an dem Bettlakenseil in der Luft baumelte, versagte ihre Stimme. Ein dicker Kloß blockierte ihren Hals. Bitte, lieber Gott. Mach, dass ich nicht abstürze. Mach, dass meine Hände nicht noch schwitziger werden.
Sie lehnte sich nach vorn, um das Seil in Bewegung zu versetzen … zwei Zentimeter. Verdammt. Sie lehnte sich zurück. Zwei
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