Die Herren der Unterwelt 01 - Schwarze Nacht
her. Er machte ihr von allen am meisten Angst, und trotzdem wollte sie in seiner Nähe sein. Irgendwas an ihm berührte sie tief. Vielleicht der Schmerz in seinen Augen. Oder die feinen Fältchen der Anspannung auf seinem Gesicht. Er sprach ihre Urinstinkte an, die ihr versicherten, dass er sie beschützen würde, ganz gleich, welche Drohungen er äußerte.
„Versuch gar nicht erst abzuhauen“, warnte der Mann namens Maddox sie. „Du würdest es bitter bereuen. Verstanden?“
Die bloße Warnung vertrieb die Hitze, die immer noch auf ihrer Haut verweilte. Dieser Mann war dermaßen unheimlich … Jedes Mal, wenn er sprach, schwang ein Hauch von Brutalität in seiner Stimme mit, als träufelte sie jemand hinein. Als könnte er es kaum erwarten, jedem, der in seine Richtung sah, unsagbare Schmerzen zuzufügen. In den vergangenen Minuten hatte sie bemerkt, dass ab und an eine skelettähnliche Maske durch seine Haut schimmerte. Seine violetten Augen waren schwarz, dann leuchtend rot und wieder schwarz geworden.
Welcher Mann – welcher Mensch – konnte so aussehen?
Ein Beben wanderte von ihrem Kopf bis in ihre Zehenspitzen. Als kleines Mädchen hatte sie sich so lange vor dem Schwarzen Mann gefürchtet, bis ihre Mutter ihr erklärt hatte, dass die Kreatur ein Mythos war, eine Erfindung, die kleine Kinder zum Gehorsam zwingen sollte. Jetzt dachte Danika, sie blicke gerade vielleicht direkt in die Augen des Schwarzen Mannes.
Nur wenn er die Frau auf dem Bett ansah, wirkte er normal.
„Verstanden?“, wiederholte er.
„Ja.“ Sie unterstrich ihre Antwort mit einem kooperativen Nicken.
„Gut.“ Dann strich er das Mädchen aus seinen Gedanken und konzentrierte sich wieder auf Ashlyn. Ihr Zittern hatte sich zu einem regelrechten Beben verstärkt. Ihre Zähne klapperten. Ihre Augen standen weit offen, und eine einsame Träne kullerte ihre Wange hinab.
„Danke“, flüsterte sie der Heilerin zu.
„Gern geschehen.“
„Geht es dir besser?“, fragte er leise.
„Es tut noch weh, und mir ist kalt. Aber ja, besser.“
Er wünschte sich, ihr seine Körperwärme einflößen zu können. „Es tut mir leid.“ Er benutzte diese Worte nur selten. An diesem Morgen hatte er sich seit Jahrzehnten zum ersten Mal wieder entschuldigt – bei seinen Freunden. „Es tut mir leid. Es tut mir leid.“ Er konnte es nicht oft genug sagen. „Es tut mir leid.“
Sie schüttelte den Kopf, stöhnte dann und lag wieder still. „Keine Absicht.“
Vor Überraschung und Demut klappte sein Mund auf. Bisher hatte er dieser Frau nur Leid zugefügt, und dennoch versuchte sie, ihn von seiner Schuld loszusprechen. Erstaunlich. „Du wirst überleben. Das schwöre ich.“ Er würde alles tun, um seinen Schwur nicht zu brechen.
Ashlyn lächelte matt. „Wenigstens … Stille.“
Stille. Sie gebrauchte das Wort nicht zum ersten Mal. Und nicht zum ersten Mal mit solcher Ehrfurcht. „Ich verstehe nicht.“
Obwohl sie so schwach war, brachte sie noch ein zartes, süßes Lächeln zustande. „Dann sind wir schon zu zweit.“
Bei diesem hellen, lieblichen Lächeln explodierte in seinem Körper ein Feuerwerk, das ihn wärmte und erregte und mit solcher Erleichterung füllte, dass er sich schier betrunken fühlte. Er öffnete gerade den Mund, um zu antworten – auch wenn er nicht wusste, was –, als Reyes ins Zimmer platzte. Aeron war bei ihm. Die kurzen Haare des anderen Mannes glänzten im Licht.
Als Danika die beiden erblickte, trat sie unwillkürlich an die Wand zurück. Doch als sie sich ihres Handelns bewusst wurde, ging sie sofort wieder vor. Wie schon zuvor hob sie trotzig das Kinn, eine Geste, die Maddox an die gesunde Ashlyn erinnerte.
Er hatte geglaubt, Reyes sei in der Stadt gewesen, um Danikas Tasche zu holen, doch seine Hände waren leer. Eine Welle des Zorns durchflutete Maddox. Gewalt fühlte sich so provoziert wie eine eingesperrte Bestie, an deren Käfig ein Kind mit einem Stock entlangfuhr.
Seine Oberlippe zuckte. Er hatte gehofft, seinen jämmerlichen Dämon heute nicht mehr spüren zu müssen – zumindest bis Mitternacht.
„Warum bist du noch hier? Geh und hol die Tasche“, grollte er. Er hätte nie geglaubt, dass er einmal so mit seinem Freund reden würde.
„Das würde zu lange dauern“, erwiderte Reyes, während er sich zwang, nicht zu Danika zu schauen. „Aeron wird die Frau in die Stadt begleiten. Er sagt, es gehe ihm gut und er verspüre kein Verlangen, sie zu verletzen.“
„Oh nein. Nein, nein,
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