Die Herren der Unterwelt 02 - Schwarzer Kuss
Weder Ketten noch ein Gefängnis konnten sie halten. Das hatte sie ihrem Vater zu verdanken, der ihr den Schlüssel gegeben hatte. Den Schlüssel, der es vermochte, alle Schlösser dieser Welt zu öffnen. Sie konnte allen Fesseln entkommen, nur ihrem Fluch nicht.
Ich werde nicht aufgeben.
Lucien den Schlüssel zu geben, hieße ihren eigenen Untergang zu besiegeln. Das wusste sie. Ihr Vater hatte ihr den Schlüssel übertragen, obwohl es ihn schwächte. Dennoch hatte er es getan, um wieder gut zu machen, dass sie die meisten Zeit ihres Lebens ohne ihn hatte leben müssen. Und weil er sie wirklich liebte.
Sie musste erschüttert mit ansehen, wie er stetig schwächer wurde. Jetzt, viele Jahre später, war er nur noch ein Schatten seiner selbst. Er wusste nicht mehr, wer er war, was er Zeit seines langen Lebens getan hatte oder dass er eine Frau hatte. Kaum konnte er sich selbst versorgen. Und weil Anya Themis allein im Gefängnis zurückgelassen hatte, musste sich nun ihre Mutter um ihn kümmern.
Dennoch waren beide glücklich miteinander, glaubte Anya. Dysnomia war froh, denn sie hatte einen Mann, der sie brauchte und der sie nicht verachtete. Und Tartarus war glücklich darüber, dass er nicht länger im Gefängnis sein musste und seine schreckliche Frau ihn nicht mehr unterdrückte.
Das bedeutete, dass Anya das Opfer ihres Vaters nicht bei einem Geschäft mit Cronus eintauschen würde. Es würde bedeuten, dass sie all das verlor, was sie hatte. Falls sie den Schlüssel aus der Hand gab, wäre sie wieder verletzbar geworden. Ihre Kräfte wären dahin. Ihre Erinnerungen wären gelöscht. Sie wäre nie wieder in der Lage, ihren Fesseln zu entkommen.
Dieser verdammte Cronus! Sie wünschte, er hätte nie von dem Schlüssel erfahren. Aber wahrscheinlich hatte er beobachtet, wie Tartarus, der diesen Schlüssel schon als Kind bekommen hatte, ihn ihr gegeben hatte. Schließlich waren sie im selben Gefängnis eingesperrt gewesen. Wenn sie den Schlüssel nicht dazu verwendet hätte, ihre Eltern aus dem Verlies zu befreien, in das Cronus sie gesteckt hatte, hätte der Gott es höchstwahrscheinlich vergessen. Aber so war es geschehen, und sie konnte nichts daran ändern.
„Jäger und Gejagte“, murmelte sie.
Eigentlich wollte Cronus den Schlüssel nur haben, um sie daran zu hindern, ihn gegen den Gott einzusetzen. Sie hatte versucht, ihm beizubringen, dass ihr die anderen Götter gleichgültig waren, und dass sie nicht ins Gefängnis zurückkehren würde. Aber wie misstrauische Götter nun einmal so sind, hatte er ihr nicht geglaubt. Und ehrlich gesagt, war das auch recht schlau von ihm. Wenn er ihre Eltern abermals hinter Gitter gebracht hätte, wäre sie einfach zurückgekehrt, um sie zu befreien.
Plötzlich stand Lucien mit grimmigem Gesicht vor ihr. „Anya?“ Sie ließ ihn nicht aus den Augen.
„Na, bist du bereit für ein bisschen Spaß?“ Sie wartete seine Antwort nicht ab, sondern teleportierte sich trotz der schweren Ketten mitten auf eine belebte Straße in New York City. Sie hoffte, dass er ihr folgen und angefahren werden würde. Dann teleportierte sie sich in einen schwulen Nachtclub in Italien in der Hoffnung, jemand würde Lucien angrapschen. Danach ging es in einen Zoo in Oklahoma, weil er vielleicht in widerlicher Elefantenscheiße landen würde.
„Viel Spaß“, wünschte sie ihm hämisch.
Ein letztes Mal teleportierte sich Anya fort, nämlich dorthin zurück, wo sie gestartet war: in sein Haus in Griechenland. Lucien war ihr immer noch auf den Fersen. Schnell wie der Blitz versteckte sie die Ketten unter seinem Bett und machte den Elektroschocker scharf. Gerade, als sie sich wieder aufrichtete, stand er genau vor ihr und starrte sie finster und mit gebleckten Zähnen an. In seinen Augen konnte sie den Tod sehen. In seinem Bein klaffte ein blutiger Schnitt, und er roch nach Scheiße.
Sie rümpfte die Nase. „Bist du in irgendwas reingetreten?“, erkundigte sie sich unschuldig.
„Das ist mir egal.“ Er machte einen drohenden Schritt auf sie zu. „Nicht egal ist mir die Tatsache, dass ich von einem Taxi angefahren wurde und danach auf dem Schoß von einem nackten Mann gelandet bin. Er hatte eine Erektion, Anya. Er hatte einen Steifen.“
Sie grinste, sie konnte einfach nicht anders.
„Und jetzt“, fuhr er mit erregter Stimme fort, „wirst du mir erklären, was du in meinem Zimmer im Buda zu suchen gehabt hast.“
„Nein, das werde ich nicht.“ Mit einem strahlenden Grinsen richtete
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