Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
war und was sie mit ihr angestellt hatten. Aber sie wollte es sich auch gar nicht ausmalen – sie hätte sich sonst wohl direkt übergeben.
Nach der … der … der Attacke – oh Gott, bitte nicht daran denken – war sie zu ihrer schäbigen kleinen Wohnung gerannt, um ihre Sachen zusammenzuraffen. Ein Fehler. Sie hätte die Pistole und ihre Klamotten einfach zurücklassen sollen, aber sie wusste, dass sie es sich ohne ihren Tageslohn nicht leisten konnte, neue Sachen zu kaufen. Und da sie die Kunst des Diebstahls noch nicht risikolos beherrschte, hatte sie geglaubt, keine andere Wahl zu haben.
Doch zu Hause wartete bereits eine Gruppe von Männern auf sie. Sie standen im Schatten neben der Feuerleiter, so als wüssten sie genau, welchen Weg sie meistens wählte. So als hätten sie sie bereits tagelang beobachtet und ihre Gewohnheiten ausgekundschaftet.
Einen oder zwei von ihnen hätte sie vielleicht überwältigen können. Womöglich sogar drei. Aber sie waren zu sechst gewesen, alle mit derselben eintätowierten Acht am Handgelenk – so wie der Mann, den sie … den sie … nicht einmal jetzt mochte sie den Gedanken zu Ende denken. Sie hatten dasselbe Tattoo wie der Mann, der in der schmutzigen Gasse ums Leben gekommen war. Sie hatten sie überwältigt und dann bewusstlos geschlagen.
Nie wieder hilflos, hm?
Als sie vorhin zum ersten Mal ihre Augen aufgeschlagen hatte, hatte sich ihre Hoffnung, dass die Männer Polizisten seien und sie vielleicht auf Kaution freikäme, sofort in Luft aufgelöst. Polizisten ketteten Frauen nicht an fremde Betten. Aber wer waren diese Männer? Und was wollten sie von ihr?
Nichts Gutes, so viel war wohl klar. Panik erfasste sie und ließ ihr das Blut gefrieren. In ihren Ohren schrillten tausend Alarmglocken. Ihr Kiefer tat weh von dem Schlag, den sie ihr verpasst hatten. Ihre antrainierte Kraft war auf ein Nichts zusammengeschrumpft, und ein schrecklicher Hunger nagte an ihr. Und sie hatte Probleme, Luft zu bekommen, denn ihr Hals war wie zugeschnürt.
Gib bloß keinen Laut von dir. Die Ketten waren kalt und schwer und scheuerten. Sie zerrte an ihnen, während sie hektisch durch den Raum blickte. Er war hübsch eingerichtet, mit dick gepolsterten Stühlen, bunten Kissen und einem Mahagoni-Waschtisch, über dem ein eckiger Spiegel mit vergoldetem Rahmen hing.
Hat Reyes wohl etwas damit zu tun?, fragte sie sich und wusste nicht recht, was sie von diesem Gedanken halten sollte. Er jedenfalls hatte es ihr auch immer hübsch und komfortabel eingerichtet.
Nein, Reyes hat nichts hiermit zu tun, sagte sie sich im nächsten Moment. Er war nicht der Typ Mann, der andere vorschickte, um die Drecksarbeit zu erledigen. Er wäre selbst dabei gewesen, hätte sie selbst überwältigt. Aber wer steckt dann dahinter?, fragte sie sich wieder. Offenbar Freunde des Typen, den sie … verletzt hatte. Diese Tattoos …
Wollten die Männer sie dafür bestrafen, dass sie ihren Freund verletzt hatte? Hatten sie vor, sie zu vergewaltigen? Sie zu foltern? Oh Gott. Hielten sie sie vielleicht auch für eine Nutte und wollten sie jetzt für sich anschaffen lassen?
Tränen brannten ihr in den Augen. Sie war ganz allein, vollkommen auf sich gestellt. Wieder begann sie an den Ketten zu zerren, minutenlang machte sie sich an ihnen zu schaffen. Sie schwitzte, und der Schweiß durchfeuchtete das Laken unter ihr. Je mehr sie sich bewegte, umso stärker verrutschten ihre Kleider, sodass sie sie nicht mehr vor den Metallketten schützten. An ihren Hand-und Fußgelenken zeigten sich bereits erste blutende Scheuerstellen.
Plötzlich klopfte es.
Kurz setzte ihr Herzschlag aus. Sie biss sich auf die Lippen, um ein Wimmern zu unterdrücken, zwang sich zu absoluter Ruhe. Sollte sie sich schlafend stellen?
Dann wurde die Tür knarrend aufgestoßen, und ein großer, durchschnittlich aussehender Mann stand in der Türöffnung. Es gelang ihr nicht, ihre Augen geschlossen zu halten. Es ging nicht anders – sie musste ihn einfach anstarren, ihn von Kopf bis Fuß taxieren. Er trug ein weißes Hemd mit Knopfleiste und eine schwarze Hose. Er wirkte wie Ende dreißig, hatte braune, zurückgekämmte Haare und große Augen, die so grün waren wie ihre. Er sah eindeutig eher nach einem Geschäftsmann als nach einem Mörder aus. Ruhig, fast sogar freundlich.
Doch das minderte ihre Panik nicht.
Hektisch schluckte sie den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Gib bloß keinen Laut von dir. Sie biss sich von
Weitere Kostenlose Bücher