Die Herren der Unterwelt 03 - Schwarze Lust
augenblicklich mit seinem Gemurmel auf.
Reyes musterte seinen Freund in der Hoffnung, Spuren des Kriegers, der er einmal gewesen war, in ihm zu erkennen, und bemüht, Hinweise auf das Monster, zu dem er geworden war, zu übersehen. Leider waren Aerons Augen immer noch riesengroß und hungrig und seine Zähne unverändert scharf und gebleckt. Also immer noch ein Monster. Und trotzdem ein Mann, den Reyes liebte. Die Tattoos, die Aeron vom Scheitel bis zur Fußsohle bedeckten, waren etwas wohltuend Vertrautes.
Reyes wusste nicht, warum Aeron seinen Körper mit farbigen Abbildungen von Dingen überzogen hatte, vor denen ihm im Grunde seines Herzens sicherlich grauste: Bilder vom Morden, Verstümmeln, Zerstören. Reyes hatte nie danach gefragt, und Aeron hatte nie freiwillig darüber gesprochen. Manche Sachen waren einfach zu schmerzhaft, um sie auszusprechen. Das kannte Reyes von sich selbst.
„Hau ab“, schnauzte Aeron.
Aerons Aussprache war klar und deutlich, nicht genuschelt, wie wenn die Stimme des Dämons mitsprach. Reyes blinzelte überrascht. War der Blutrausch des Kriegers bereits am Abklingen?
„Du bist bei Verstand, wie ich sehe.“ Ein Blick auf die gefesselten Handgelenke seines Freundes zeigte Reyes, dass sie fast vollständig verheilt waren. „Vorhin, als Lucien und ich in der Höhle aufgetaucht sind, warst du ganz außer dir. Tut mir leid, wenn wir dich beim Transfer hier in die Burg verletzt haben.“
„Binde mich los. Ich hab einen Auftrag zu erledigen.“
„Vor zwei Wochen warst du froh, angekettet zu werden. Du hast deinen Auftrag verflucht und mich angefleht, dich umzubringen.“
„Zum Glück denke ich jetzt anders darüber.“ Aeron verlagerte sein Gewicht und zog die Beine noch enger an seine Brust. „Die Frauen müssen sterben.“
Nein, sein Blutdurst war längst nicht gestillt. „Also leben sie immer noch? Alle vier?“ Reyes konnte Danikas glühende Anspannung über die räumliche Distanz hinweg spüren.
Schuldgefühle blitzten in Aerons Augen auf. Schuldgefühle – das war großartig und schrecklich zugleich. Großartig, weil es bedeutete, dass der alte Aeron noch nicht ganz tot war, dass er noch kämpfte. Schrecklich, weil es vermutlich hieß, dass eine oder mehrere der Frauen bereits tot waren.
Reyes spürte, wie sich seine Haut über den Knochen spannte, und stieß einen Seufzer der Enttäuschung aus. Er hatte so verzweifelt auf gute Nachrichten gehofft. Jetzt konnte er nur hoffen, dass überhaupt noch jemand aus Danikas Familie lebte. „Aeron, erzähl mir von den Frauen.“
Stille.
„Bitte.“ Er war sogar bereit, Aeron auf Knien um eine Antwort anzuflehen.
Erneute Stille.
Nein, es war nicht komplett still, wie Reyes einen Moment später feststellte. Im Hintergrund hörte er ein gedämpftes, drohendes Knurren.
„Antworte ihm!“, brüllte Danika.
Aeron erstarrte, er hörte sogar auf zu atmen. Seine Augen wurden glasig und glühten rot vor Rage. Die Schuldgefühle waren wie weggeblasen. Dann sprang er ohne jede Vorwarnung nach vorn. Seine Flügel schossen aus den Schlitzen in seinem Rücken hervor, ein schwarzes Gespinst, das die letzten Fetzen seines Hemdes zerriss und sich im ganzen Verlies ausbreitete. Ihre rasiermesserscharfen Ränder kratzten an den Wänden entlang.
Reyes wich nicht von der Stelle. Aeron wollte kämpfen, also würde er ihm die Stirn bieten. Besser es traf ihn als Danika.
Die Kette um Aerons Hals ruckte und spannte sich, bis der Krieger nur noch ein paar Zentimeter von Reyes’ Gesicht entfernt war. Er stand jetzt so nahe, dass Reyes von einer schwefeligen Brise eingehüllt wurde. Aeron war der Hölle so nahe gewesen, dass er ihren Geruch noch tagelang ausdünsten würde. Fast wünschte Reyes sich, sein Dämon hätte sich nicht erinnert, wie man dorthin kam, und ihm stattdessen erlaubt, Aeron am erstbesten Ort unter die Erde zu bringen.
„Mädchen“, rief Aeron. Er hatte seine Hände um Reyes’ Hals geschlungen und begann zuzudrücken. „Her mit dir.“
„Sie gehört mir“, quetschte Reyes zwischen den Lippen hervor. „Erzähl mir von ihrer Familie.“
„Sterben!“
„Los, erzähl schon.“
Er vernahm Danikas Keuchen und meinte, einen kurzen Warnruf von Lucien zu hören.
„Sag’s mir.“ Die Bitte war kaum noch zu hören. Reyes ließ sein Messer fallen, weil er es nicht gegen seinen Freund einsetzen wollte, um sich selbst zu retten, und packte Aerons Handgelenke. Wenn es denn unbedingt nötig war, würde er eben mit seinen
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