Die Herren der Unterwelt 04 - Schwarzes Flüstern
Einzige, der sie beruhigen kann, ohne sie zu verletzen.“
Sabin. Sabin. Ihr Blutrausch nahm an Intensität ab und wurde von Gwens Gewissen verdrängt. Du willst deine Schwestern nicht töten. Du liebst sie doch. Langsam und konzentriert atmete sie ein und aus. Allmählich begannen wieder die Farben in ihrem Verstand zu funkeln, während Schwarz und Rot sich auflösten. Graue Wände, brauner Fußboden. Taliyahs weißes Haar, Kaias rotes und Biankas schwarzes. Ihre Schwestern waren verschrammt, aber lebendig, dem Himmel sei Dank.
Dann wurde es ihr schlagartig bewusst. Du hast es geschafft. Du hast dich beruhigt, ohne jemanden in diesem Raum zu töten. Sie riss die Augen auf, und trotz des Chaos, das sie umgab, platzte Gwen fast vor Freude. Das war ja noch nie passiert. Jedes Mal, wenn sie hier in der Burg die Kontrolle verloren hatte, war Sabin da gewesen und hatte sie beruhigt. Vielleicht brauchte sie vor der Harpyie keine Angst mehr zu haben. Vielleicht könnten sie endlich ein harmonisches Dasein fristen. Auch ohne Sabin.
Der Gedanke brachte sie beinah zu Fall. Sie wollte nicht ohne ihn leben. Sie hatte vorgehabt zu gehen, ja. Aber wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass sie von ihm erwartet hatte, sie zurückzuholen – oder von sich erwartet hatte, zurückzukehren.
„Alles okay mit dir?“, fragte Bianka, die offensichtlich genauso überrascht war wie sie.
„Ja.“ Sie wirbelte herum, vermied bewusst, in die Zelle der Jäger zu schauen, und fand keine Spur von dem Mann, dessen Stimme sie vernommen hatte. „Wo ist Torin?“
„Er ist nicht hier“, erklärte Kaia. „Er hat über einen Lautsprecher mit uns gesprochen.“
„Dann weiß er, dass wir uns befreit haben“, stellte sie fest, hielt sich den Magen und machte ein paar Schritte zurück. Was, wenn er sie holen kam? Was, wenn sie ihn umbrachte, damit er sie nicht wieder einsperren konnte? Das würde Sabin ihr niemals verzeihen. Ohne jeden Zweifel – und das wollte für jemanden wie ihn schon etwas heißen – würde er denken, dass sie den Jägern half. Moment, du hast doch keine Angst mehr vor deiner Harpyie! Alte Gewohnheiten sind wohl nur schwer abzulegen, dachte Gwen.
„Ja, das weiß er“, sagte Taliyah, als auch schon Torins Echo ertönte: „Ja, das weiß ich.“
Kaia packte Gwen bei den Schultern und zwang sie, stehen zu bleiben. „Er kann nichts machen, weil er uns nicht berühren kann.“
„Na ja, ich könnte euch erschießen“, entgegnete die körperlose Stimme.
Gwen schauderte. Pistolenkugeln waren kein Spaß.
„Kommt, wir holen Ashlyn und Danika“, schlug Kaia vor, die sich weder von ihrem Publikum noch von Torins Drohung beeindrucken ließ.
„Torin hat gesagt, Maddox und William passen auf sie auf“, erinnerte Bianka sie. „Also nehmen wir sie auch mit.“
Obwohl noch immer nervöse Energie durch Gwens Körper rauschte, gefror ihr bei diesen Worten das Blut in den Adern. „Wieso sollten wir das tun?“ Die Mädchen waren niedlich und nett und verdienten es nicht, dass man ihnen wehtat.
„Rache. Und jetzt komm.“ Bianka machte auf dem Absatz kehrt und stapfte die Stufen in Richtung Haupthaus hoch.
„Das verstehe ich nicht“, rief Gwen mit zitternder Stimme. „Rache wofür?“
Kaia ließ sie los und wandte sich ebenfalls zum Gehen. „Sabin hat unsere Flügel beschädigt, deshalb werden wir jetzt seine kostbare Armee beschädigen. Wenn die anderen Krieger zurückkehren und feststellen, dass die Frauen und ihre zwei Freunde verschwunden sind, werden sie ausflippen.“
Nein, dachte sie. Nein. „Ich habe es euch schon einmal gesagt. Sabin gehört mir. Ich werde mich um ihn kümmern.“
Sowohl Kaia als auch Taliyah ignorierten sie und folgten Bianka.
„Keine Sorge. Wir mögen zwar geschwächt sein, aber wofür gibt es denn Pistolen?“, entgegnete Kaia und grinste über die Schulter in die Richtung, in der sie Torins Kamera vermutete. „Stimmt’s Tor-Tor?“
„Das werde ich nicht zulassen“, erwiderte er mit eisenharter Stimme.
„Pass bloß auf.“ Taliyahs Stimme war eiskalt. In diesem Moment gaben die beiden ein gutes Paar ab. Keiner von ihnen war bereit nachzugeben.
Gwen sah ihren Schwestern nach, als sie über die oberen Stufen verschwanden. Um die unschuldigen Frauen zu fangen und sich an ihrem Mann zu rächen. Na ja, eigentlich war Sabin ja gar nicht ihr Mann. Nicht mehr. Aber Gwen war klar, dass sie eine Entscheidung treffen musste. Sie konnte entweder zulassen, dass die Dinge ihren Lauf
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