Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
Anweisung gefolgt war und Scarlet das Messer an den Hals hielt, wusste er nicht. Zur Sicherheit hielt er seine freie Hand über das Gesicht von Albtraum. Gut. Sie lag immer noch reglos da. Ihr warmer Atem strich in regelmäßigen Zügen über seine Haut.
Um den Sarg selbst herum hatte er keine Fallen bemerkt, und so ging er Zentimeter für Zentimeter zum Kopfende und weg vom Flureingang. Dabei unterbrach er nicht einmal den Kontakt zu den beiden Frauen. Olivia sollte wissen, dass er da war und sie beschützen würde. Immer. Er hätte auch den Deckel geschlossen, doch er wollte schnell eingreifen können, falls das Mädchen doch aufwachte.
„Moment“, sagte einer der Männer. „Stehen bleiben.“
„Was?“
„Die Luft. Spürt ihr den Luftzug?“
„Wir müssen dicht an einer Öffnung sein.“
Noch näher.
Sie hörten das Schlurfen mehrerer Füße. Olivias Zittern nahm zu, und er drückte beruhigend ihre Schulter.
„Das muss ein Zimmer sein.“ Eine Pause. Ein Knacken. „Ja. Ja! Hier ist viel zu viel Platz, als dass es noch ein Gang sein könnte.“
„Sie kann unmöglich hier sein. Sie hätte doch niemals hier hineingefunden.“
„Sie ist vom beschissenen Albtraum besessen. Natürlich könnte sie reingefunden haben. Ich schlage vor, wir … tasten uns mal ein wenig vor. Sie schläft bestimmt. Wenn ihr warme Haut spürt, fangt einfach zu schießen an.“
Woher wussten sie so viel? Hatte Cronus es seiner Frau erzählt? Oder hatte jemand von dem Tarnumhang Gebrauch gemacht und vertrauliche Gespräche belauscht?
„Hölle, nein. Nicht schießen. Wir würden uns nur gegenseitig abknallen.“
„Immer noch besser, als einen Dämon frei rumlaufen zu lassen.“
Während die Männer den Todeswunsch ihres Kameraden realisierten, herrschte einen Moment lang schockiertes Schweigen.
„Entweder schneiden wir ihr die Kehle durch, oder ich verschwinde“, blaffte schließlich jemand. „Ich hab mich doch nicht für eine Selbstmordmission gemeldet.“
„Dann schneidet ihr halt den Hals durch, verflucht. Aber sorgt dafür, dass ihr sie auch wirklich außer Gefecht setzt, damit wir sie hier rausbringen können, ohne Angst haben zu müssen, dass sie uns angreift. Jeder schlechte Traum, den wir je hatten, ist ihr zuzuschreiben. Alles Schlechte, das wir je erdulden mussten, ist ihr Verschulden.“
Noch mehr schlurfende Schritte. Aeron wartete gebannt und angespannt. Falls es einer von ihnen bis zum Sarg schaffen sollte, müsste er …
Ein Mann schrie.
„Was, zum Teufel …“
Noch ein Schrei. Ein Gurgeln. Gefolgt von noch einem und noch einem.
Keiner von ihnen würde es bis zum Sarg schaffen.
Dafür würden Albtraums Fallen schon sorgen. Mehrere Jäger feuerten trotz der Angst, sich gegenseitig zu treffen, ihre Waffen ab, aber die Dunkelheit verschluckte die Funken des Schießpulvers. Eine der Kugeln bohrte sich in Aerons Schulter und schleuderte ihn ein Stück nach hinten.
Er fing sich, als gerade mehrere Schreie die Gruft erfüllten. Zwar wollte er Olivia nicht zusammen mit dem Mädchen einsperren. Aber er wollte auch nicht, dass man sie erschoss. Er knallte den Sargdeckel zu.
„Was ist hier los?“
„Geschnitten“, brachte irgendwer unter röchelndem Husten hervor.
Dann wieder ein Schrei. Er vermischte sich mit einem Crescendo gequälten Stöhnens und dem Geruch frischen Blutes, der durch die Luft waberte.
„Rückzug“, presste jemand keuchend hervor. „Rück… Argh!“
Noch immer waren schleppende Schritte zu hören, doch die Anzahl der Füße, die sich bewegten, hatte stark abgenommen. Dann, als immer mehr Geschrei und Gestöhne ertönten, erstarb das Schlurfen gänzlich. Vorbei. Zu Ende. Nach diesem Kampf hatte er sich gesehnt, und dennoch hatte er nicht einen Finger rühren müssen, um ihn zu gewinnen.
Er wartete, bis absolute Stille herrschte, bevor er den Deckel öffnete und sagte: „Licht.“
Olivia gehorchte sofort. Wieder ging dieses beinahe blendende Licht von ihr aus, nahm weiter an Intensität zu und besiegte die Finsternis – und er sah, dass sie zwar blass, aber unverletzt war. Scarlet hatte sich noch immer nicht geregt.
„Aeron, ich hatte solche …“ Olivia setzte sich auf und drehte sich um, damit sie ihn ansehen konnte. Sofort verdunkelte Schrecken ihr Gesicht. „Du bist ja verletzt.“
Er blickte auf seine Wunde. In seiner Schulter klaffte ein Loch, und das Blut, das daraus hervorsickerte, rann über seine Bauchmuskeln und wurde schließlich von seinem Hosenbund
Weitere Kostenlose Bücher