Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
sie war sich noch immer nicht ganz sicher, ob sie Aeron liebte. Sie bewunderte ihn, ja. Er erregte sie, und sie sehnte sich nach seinen Berührungen, oh ja. Aber für ihn sterben, fragte sie sich wieder. Und wieder war sie sich nicht sicher. Sie hatte alles geopfert, um mit ihn zusammen zu sein – alles außer ihrem Leben.
Könnte sie das?
Außerdem hieße für Aeron zu sterben auch, für Legion zu sterben. Denn sie wusste, dass Aeron ohne diese kleine – jetzt große – Tyrannin nicht glücklich wäre. Und wenn Aeron lebte, sollte er glücklich sein. Dennoch fühlte sich der Gedanke, für so eine verlogene, hinterhältige Göre zu sterben, alles andere als gut an.
Außerdem müsste zuallererst einmal Aeron Olivia lieben. Und momentan bestand kein Zweifel daran, dass er das nicht tat.
Mit einem schweren Seufzer kletterte Olivia in den Geländewagen. Paris legte Aeron auf die Rückbank, und sie bettete seinen Kopf in ihren Schoß. Dann setzte Paris sich hinters Steuer, und William ließ sich mit Scarlet in den Armen auf den Beifahrersitz fallen. Gleich würde sie zum ersten Mal in einem Auto fahren. Eigentlich hatte sie sich darauf schon die ganze Zeit gefreut, doch im Augenblick war es ihr egal. Ihr schwirrte der Kopf.
Der Tod war etwas, das sie in Bezug auf sich niemals für möglich gehalten hatte. Es hatte sie einfach schon immer gegeben, und sie hatte gewusst, dass es sie auch immer geben würde. Jetzt war es möglich, dass sie starb. Nicht aus freien Stücken, um jemanden zu retten, sondern zum Beispiel bei einem Autounfall. Wie ging es ihr damit? Sie wusste es nicht. Sie wusste nur, dass zu sterben, ohne alles erlebt zu haben, was sie wollte, abscheulich wäre. Aber danach? Ohne Aeron zu sein wäre jedenfalls noch viel abscheulicher.
Sie hatte schon Abertausende, ach, Millionen Menschen sterben sehen. Keiner dieser Tode hatte sie jemals berührt, da sie einfach zum Kreislauf des Lebens gehört hatten. Jeder Anfang hatte ein Ende. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie es anfangs nicht betrauert hatte, Aeron mit Ablauf ihres Ultimatums zu verlieren. Sein Tod wäre nur ein weiterer in der langen Reihe von Toden, die sie mit angesehen hatte.
Jetzt ging sein Tod sie persönlich an. Sie kannte ihn genau, hatte ihn geküsst und geschmeckt. Hatte das größte Glück mit ihm erfahren. Sie hatte in seinen Armen geschlafen und sich an seine Seite gekuschelt. Er hatte sie beschützt. Er hätte selbst in diesen Sarg klettern können, hatte es jedoch unterlassen. Stattdessen hatte er sie hineingehoben und so dafür gesorgt, dass im Zweifel nicht er unversehrt davonkäme, sondern sie.
Somit war er bereit gewesen, für sie zu sterben. Aber warum? Noch immer machte sie sich keine Illusionen darüber, er könne sie womöglich lieben.
Sie seufzte abermals und streichelte ihm über den Kopf. Seine Haarstoppeln kitzelten an ihrer Handfläche. Später würde sie Lysander rufen. Sie würde ihn um seine Meinung zu der ganzen Angelegenheit bitten – und ihn fragen, warum er Aeron besucht hatte. Er wäre nicht fähig, sie anzulügen. Und wenn seine Antwort ihre Hoffnung auf eine Zukunft mit diesem wunderbaren Mann zerstörte, würde sie … was? Sie schluckte.
„Wir sollten Gilly nicht in ihrer Wohnung lassen“, sagte William unvermittelt und riss Olivia aus ihren Gedanken. „Nicht solange eure Feinde hier wie die Fliegen herumschwirren.“
„Erstens muss Aeron nach Hause, und zweitens ist sie dort, also fern von uns, sicherer.“ Paris stellte den Rückspiegel so ein, dass er alles, was hinter ihnen geschah, genauso gut sehen konnte wie das, was sich vor ihnen abspielte. „Die Jäger haben keine Ahnung …“
William schlug mit der Hand auf das Armaturenbrett. „Da bin ich anderer Ansicht. Sie wussten von Scarlet, und wie viel Kontakt hatten wir zu ihr? Fast keinen. Wie viel Kontakt hatten wir zu Gilly? Zu viel. Und mit Rhea im Team der Idioten können wir Gilly unmöglich alleine da draußen lassen. Außerdem ist Aeron unsterblich. Er wird es schon schaffen. Also noch mal: Wir können sie unmöglich alleine da draußen lassen.“
„Mist. Du hast recht.“
„Wie immer.“
„Wir werden sie auf dem Weg zur Burg einsammeln.“
„Sie ist bestimmt in der Schule“, gab William zu bedenken, und Paris legte fluchend einen verbotenen U-Turn hin, dass die Reifen nur so quietschten.
Olivia überlegte, ob sie protestieren sollte. Sie wollte, dass Aeron so schnell wie möglich in Sicherheit käme und medizinisch
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