Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
begann wieder zu zucken.
„Hör nicht auf!“, sagte Paris. „Das ist wunderschön. Meine Ohren sind jetzt schon süchtig nach deinem Gesang. Ich will mehr.“
„Oh. Danke.“ Olivia stimmte ein weiteres Lied an. Draußen kamen die verschiedensten Tiere aus dem Wald und näherten sich dem Wagen. Wieder beruhigte sich Aeron, und sie hätte vor Freude weinen können.
Würde sie für ihn sterben? Sie fuhr mit dem Finger über eines der Skelett-Tattoos auf seinem Wangenknochen. Vielleicht.
William stand im Schulsekretariat und wartete auf Gilly. Die Sekretärin hatte sie bereits ausgerufen. Als er der Frau gesagt hatte, sein Name sei Paris Lord, hatte sie das Mädchen, ohne zu zögern, zu sich bestellt. Die Listenkrise war abgewendet.
Die Frau war Mitte dreißig, klein und rundlich, trug das braune Haar zu einem glatten Bob geschnitten und hatte braune Augen – mit denen sie ihn gerade auszog. Das passierte ihm ständig, und normalerweise genoss er es. Aber nicht in diesem Moment. Jetzt wollte er einfach nur Gilly hier rausholen. Er mochte den kleinen Naseweis und würde keine Ruhe geben, bis er in Sicherheit wäre.
Er hatte keine Ahnung gehabt, was für ein furchtbares Leben hinter Gilly lag, und schämte sich für sich selbst. Er kannte die Frauen doch. Ein kurzer Blick reichte, und er wusste, welchen Typ er vor sich hatte. Warum also hatte er nicht bemerkt, dass Gillys Seele tief verletzt war?
Ihre verdammte Mutter und ihr Möchtegernstiefvater! Zwei Menschen, die sie eigentlich hätten beschützen sollen. Aber jetzt war William ja bei ihr, und William würde dafür sorgen, dass ihr nie wieder etwas zustieße. Er war sogar versucht, ihrer Mutter und ihrem sauberen Ehemann die Kehlen durchzuschneiden. Vielleicht könnte er Gilly die Köpfe zu Weihnachten schenken oder so.
„Sind Sie Gillys Vater?“, fragte die Sekretärin. Sie hatte ihren Posten hinter dem Schalter verlassen und stand ihm jetzt gegenüber.
Verdammt. Er hatte weder gesehen noch gehört, wie sie sich bewegt hatte. Sich derart ablenken zu lassen war gefährlieh. „Ihr Bruder“, erwiderte er leicht verstimmt, weil man ihn für den Vater einer Siebzehnjährigen hielt. Sah er wirklich so alt aus? Na gut, er ging auf die zweitausend zu, aber er hatte nicht eine Falte im Gesicht, verflucht!
„Oh. Wie schön.“ Lächelnd reichte sie ihm ein Stück Papier. „Falls Sie mal mit mir über Gillys Lehrplan sprechen möchten, hier ist meine Nummer. Sie können mich jederzeit anrufen.“
„Ich werde mich auf jeden Fall melden.“ Er erwiderte ihr Lächeln, allerdings war seins gezwungen. Er steckte die Visitenkarte in die Hosentasche, wohl wissend, dass er sie nie benutzen würde. „Bildung ist ja so wichtig.“
Sie kicherte, und er gab sich alle Mühe, nicht zusammenzuzucken.
Frauen. Sein Segen und Fluch zugleich. Er liebte Sex. Er brauchte und sehnte sich nach Sex. Sex mit der falschen Frau hatte ihn in den Kerker gebracht. Sex mit der Göttin, die ihn im Tartarus besucht hatte, hatte ihm den Rauswurf aus dem Himmel beschert. Doch das alles hatte seiner Libido nichts anhaben können. Im Grunde konnte nichts seiner Libido etwas anhaben. Selbst der Fluch nicht, der wie ein Damoklesschwert über seinem Kopf hing.
Eines Tages würde ihn eine Frau von unfassbarer Schönheit und Macht in Versuchung führen. Eines Tages würde diese Frau ihn durch eine List dazu bringen, sich in sie zu verlieben. Eines Tages würde diese Frau ihn zu ihrem Sklaven machen. Und dann würde sie ihn umbringen.
So war es prophezeit.
Vielleicht – eventuell – okay, wahrscheinlich eher nicht -hätte er alle Frauen meiden und sich so vor einem solchen Todesurteil schützen können. Doch selbst das könnte ihn nicht retten. Das war ebenfalls Teil der Prophezeiung. Wenn er Frauen und Sex mied, würde er sich nur zu einem schnelleren und schmerzvolleren Tod verdammen.
Der einzige Weg, wie er die namenlose Frau aufhalten und den Fluch brechen konnte, war in einem Buch beschrieben. Und da es schier unmöglich war, dieses Buch zu entschlüsseln, suchte er immer noch nach der Antwort. Außerdem war die verfluchte Göttin der Anarchie im Besitz dieses Buches und ließ ihm die Seiten nur in einzelnen, geizigen Häppchen zukommen. Er hätte Anya dafür hassen können – wenn er sie nur nicht so verdammt lieben würde.
Im Tartarus hatten sie Jahrhunderte als Zellennachbarn verbracht, und ihr Witz war das Einzige gewesen, das ihn davor bewahrt hatte, den Verstand zu
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