Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
Scarlet Insekten heraufbeschwören konnte, aber das hätte mittlerweile auch ein Dreijähriger herausgefunden.
„Sie wusste, was dir am meisten Angst einjagt. Die einzig logische Erklärung dafür ist, dass die Frau unsere tiefsten Ängste spüren kann und sie uns im Schlaf persönlich vorstellt. Daher die Albträume.“
Großartig. Das war genau das, was ihm in seinem Leben noch gefehlt hatte. „Ich werde sie nicht besuchen.“
Darauf reagierte Lügen mit einem Nein, danke.
„Nun mal langsam.“
„Du wirst mir die Sache auf jeden Fall ausreden können, also würde ich an deiner Stelle jetzt nicht die Klappe halten.“ Er brauchte zwar ein bisschen, schaffte es aber, das Wasser abzustellen. „Gib mir kein Handtuch.“
Ein vor sich hin grummelnder Paris warf ihm ein flauschiges Badehandtuch zu. Aber Gideons Stümpfe waren einfach nicht schnell genug, und so fiel es auf den Boden. Er bückte sich, und nach mehreren Versuchen gelang es ihm endlich, das Handtuch aufzuheben. Sein Arm pochte. Dämlicher Knochenbruch! Er gab sich alle Mühe, sich abzutrocknen, bekam es allerdings nicht sonderlich gut hin.
Irgendwann nahm Paris ihm das Handtuch ab und rieb ihn trocken. „Du bist schlimmer als ein Baby, weißt du das?“
„Besorg mir nichts zum Anziehen.“
Kopfschüttelnd verschwand Paris in sein Zimmer. Gideon hörte eine Schublade aufgehen und wieder zuknallen, dann noch eine, und kurz darauf kam Paris mit einer kurzen Hose und einem T-Shirt in der Hand zurück ins Bad.
Gideon war bereits aus der Dusche gestiegen. Er hätte sich selbst anziehen können, aber das hätte ihm das letzte bisschen Energie geraubt. „Zieh mich bitte nicht an.“
Noch ein Kopfschütteln. „Wenn du sie besuchst, nimm wenigstens ein paar Waffen mit.“ Paris zog ihm das Shirt über den Kopf und half ihm, die Arme hindurchzustecken. Nur einmal zuckte Gideon schmerzhaft zusammen. „Mich zum Beispiel.“
„Sicher.“ Götter, war das peinlich, so hilflos zu sein. Doch sein Freund ging so sachlich damit um, dass sich die Scham langsam legte.
Paris verdrehte die Augen, als er die Shorts aufhielt, damit Gideon hineinsteigen konnte. „Nur weil sie eingesperrt ist, ist sie noch lange nicht harmlos.“ Sein Blick fiel auf die immer noch blutende Wunde in Gideons Oberschenkel.
Gideon zuckte mit den Schultern. „Hättest du mir nicht etwas femininere Klamotten raussuchen können?“, fragte er angewidert, als er an sich hinunterblickte. Falls er hoffte, Scarlet beeindrucken zu können – was er nicht tat, wie er sich selbst versicherte –, würde er versagen. Ein weißes, viel zu kleines T-Shirt und graue Joggingshorts. Fantastisch.
Paris verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast also vor, ohne mich zu gehen.“
„Nein.“ Allein, hatte sie gesagt. Wenn er einen Freund mitbrächte, würde sie ihre hübschen Lippen womöglich gar nicht erst öffnen, und das würde er nicht dulden. Er wollte Antworten, verdammt. Vor allem auf die Frage, woher er sie kannte. Außerdem wäre er nicht abgeneigt, sich ihre Entschuldigung dafür anzuhören, dass sie ihn aufgeschlitzt hatte.
„Gideon“, warnte Paris ihn.
„Sie ist doch nicht eingesperrt, oder?“ Er humpelte ins Schlafzimmer und rief über seine Schulter: „Ich werde die ganze Zeit in Gefahr sein.“
„Nervensäge. Von mir aus: Tu, was du nicht lassen kannst. Aber sei vorsichtig“, rief Paris.
„Keine Chance.“
Zwei lange, gewundene Flure und eine Treppe später musste er sich gegen die Wand lehnen, um nicht umzukippen. Auf dem Weg war er einigen seiner Freunde begegnet, und jeder einzelne hatte versucht, ihm zurück in sein Zimmer zu helfen. Er hatte sich bemüht, sie so höflich wie möglich zu verscheuchen. Sie sorgten sich um ihn, und er liebte sie dafür. Auch wenn er ihnen das nie würde sagen können. „Ich hasse dich“, war das Beste, das er herausbekam. Aber deshalb würde er noch lange keinen Rückzieher machen.
Er zwang sich weiterzugehen. Als er über die Schwelle zum Kerker trat, veränderte sich schlagartig die Luft. Sie war schwer von Blut, Schweiß und sogar Urin. Hier hatten sie Jäger gefoltert, immer und immer wieder. Wie musste sich das Mädchen ekeln. Er hoffte nur, dass sie nicht zitternd in der Ecke kauerte und weinte.
Was würde er tun, wenn dem tatsächlich so wäre? Wahrscheinlich schreiend davonlaufen, dachte er. Das Einzige, das schlimmer war als Spinnen, war eine weinende Frau.
Angsterfüllt bog er um die letzte Ecke. Dann endlich
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