Die Herren der Unterwelt 05 - Schwarze Leidenschaft
seltsame Gefühlskombination.
„Natürlich nicht.“ Es war schwierig, einen Fuß vor den anderen zu setzen, während ihre Knie zitterten, doch sie schaffte es – ohne hinzufallen. Sie ging an Aeron vorbei, wobei sie ihn leicht streifte, – oh, süße Gottheit, seine Wärme, seine Stärke –, und lächelte, als sie dasselbe bei Cameo machte, die ihr zuzwinkerte.
Im Flur kam ihr plötzlich ein Gedanke in den Sinn, und sie blieb stehen.
Sie sah Aeron über die Schulter an und sagte: „Ich erkunde jetzt ein wenig eure Burg. Ach, und, Aeron: Wenn du Albtraum, die übrigens Scarlet heißt, nicht rinden solltest, dann lass deine schlechte Laune bitte nicht an mir aus, wenn du zurückkommst. Außer du möchtest, dass ich sie wegküsse. Darüber würde ich durchaus mit mir reden lassen.“
Ohne auf seine Antwort zu warten, schlenderte sie um die Ecke.
„Olivia“, rief er.
Sie ging weiter, ohne ihn zu beachten. Sie hatte das Gefühl, dass er sich mit ihr streiten wollte. Aber ihr Körper vibrierte noch vor lauter Lust und Glück, und ein Streit würde all das nur zerstören.
„Olivia! Du bist so gut wie nackt.“
So gut wie nackt? Sie verharrte in ihrer Bewegung, sah an sich hinab, nahm die Bettdecke wahr, die sich um ihre nackten Brüste schmiegte, und schluckte. Wenn sie mit Aeron zusammen war, war „so gut wie nackt“ genau richtig – aber wenn die Möglichkeit bestand, dass sie seinen Mitbewohnern über den Weg lief, war es alles andere als das. Und das hatte nichts mit mangelndem Selbstbewusstsein zu tun.
Ihr Liebesspiel mit Aeron hatte ihr dabei geholfen, die Erinnerung an ihre Erlebnisse in der Hölle zu verdrängen, ja. Aber schließlich hätten diese beiden Erfahrungen gegensätzlicher auch nicht sein können. Aerons Ziel war Lust gewesen, das der Dämonen Schmerz. Trotzdem. Lust in den Augen eines anderen zu sehen erweckte die scheußlichen Erinnerungen womöglich mit einem Schlag wieder zum Leben.
Seufzend eilte sie zurück in sein Zimmer, wobei sie kommentarlos an einem wütend dreinblickenden Aeron vorbeiging. Cameo war bereits gegangen. Ohne großes Aufhebens ließ Olivia die Bettdecke fallen, schnappte sich ihr Top und zog es sich über den Kopf. Zum Glück trug sie ihren Rock und das Höschen sowieso noch.
„Besser“, sagte sie nickend.
„Nein, nicht besser. Nicht für das, was wir vorhaben. Und ja, damit meine ich, dass du mit mir kommst.“
Sie ging zu ihm, stellte sich auf die Zehenspitzen und küsste ihn auf die Wange. „Bis später. Und sei bitte vorsichtig.“ Abermals schritt sie den Flur hinunter.
„Olivia.“
Doch sie ignorierte ihn und richtete ihre Aufmerksamkeit stattdessen voll und ganz auf die vielen Türen, die vor ihr lagen. Unsicher, was sie erwartete, steckte sie den Kopf zur ersten Tür hinein. Natürlich. Ein Fitnessraum. Das hätte sie sich ja denken können, aber sooft sie auch heimlich hier gewesen war, sie hatte sich immer hundertprozentig auf Aeron konzentriert.
„Olivia“, rief er, und dieses Mal klang er resigniert. „Also gut. Bleib hier. Mach, was du willst. Ist mir egal.“
Lügner. Wenigstens hoffte sie, dass er log.
Das zweite Zimmer war leer. Aus dem dritten kamen ihr Stimmen entgegen, noch ehe sie die Tür erreicht hatte. Ohne sich von Angst oder Unsicherheit bremsen zu lassen, lugte sie hinein.
Es war ein Schlafzimmer, wie Aerons, nur dass es hier weder rosafarbene Accessoires noch Spitzenstoffe gab. Dunkle Wände, Möbel aus Metall statt aus Holz und – damit hätte sie zuletzt gerechnet – eine Karaokeanlage in der Ecke. Eine Frau saß auf einem Stuhl neben einem riesigen Bett und las einem Mann etwas vor.
Anscheinend hatte Olivia ein Geräusch gemacht, denn der Mann hob seinen Blick und sah sie an. Er versuchte, sich aufzusetzen, doch die Frau protestierte. „Gideon. Was machst du denn da? Bleib liegen!“
Gideon. Olivia wühlte in ihrem Kopf. Hüter der Lügen?
„Ich bin ganz ruhig“, krächzte er. „Wir sind alleine.“
Volltreffer. Er war tatsächlich der Hüter der Lügen und unfähig, die Wahrheit zu sagen, wenn er nicht Höllenqualen erleiden wollte. Außerdem war er unheimlich süß, mit diesen blauen Haaren, den elektrisierenden Augen und einer gepiercten Augenbraue. Doch augenscheinlich war er verletzt. Dort, wo eigentlich seine Hände hätten sein sollen, endeten seine Arme in weißen Verbänden.
Selbstbewusst. Offensiv. „Entschuldigt die Störung, aber ich war … gerade in der Nähe.“ Das stimmte.
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