Die Herren der Zeit
machte den Eindruck, als sei sie zunächst vom Wasser freigelegt, dann aber künstlich erweitert und geglättet worden. Burin sah sich immer noch hier und da um, als wüsste er nicht, wo er sich befände. Es schien ihn ungemein zu ärgern. Doch Gwrgi führte sie mit einer Sicherheit, als wäre er diesen Weg schon Hunderte Mal gegangen, und er schien genau zu wissen, wohin er wollte.
Wenn Gorbaz sich unwohl fühlte unter den starrenden Blicken der Gnome, die ihn auf Armeslänge umdrängten, so merkte man es ihm nicht an. Er bemühte sich aber, dicht bei Aldo und den anderen zu bleiben, als empfände er in der Gruppe eine größere Sicherheit. Was vermutlich das Erste war, was man Bolgs in den Diensten der Legion beibrachte.
»Wer ist dieser Wicht?«, fragte er mit einem Blick auf Gwrgi, als dieser vor ihnen eine gewundene Treppe emporstieg, deren Geländer von Stalagmiten gebildet wurde.
»Gwrgi?« Aldo hob den Kopf. »Ich kenne ihn nicht, aber Herr Kimberon hat mir von ihm erzählt, auf unserem Weg durch die Sümpfe.« Er versuchte, sich zu erinnern. »Er war der Ahnherr der Sumpflinge – jedenfalls in der Welt, wie ich sie kenne. Ich glaube, er war so etwas wie das Resultat eines Experiments der Dunkelelben – eines fehlgeschlagenen, wie sie meinten. Und so wanderte er als Schamane durch die Jahrhunderte und schuf sich ein eigenes Volk, bis die Dunkelelben es vernichteten.«
»Dann ist er mächtig?«, fragte Gorbaz.
»Nein«, sagte er, »aber er ist klug und weise, habe ich reden hören, und er hat einen schrägen Sinn für Humor. Sonst wäre er nicht Herrscher der Gnome geworden. Mein Vater hat davon erzählt, weißt du; er war nämlich im Krieg. Er hat erzählt, wie schrecklich die Gnome aussähen und dass er es nicht verstehen könne, wie jemand freiwillig bei ihnen leben wollte. Wir haben gedacht, er schneidet nur auf. Aber die Wirklichkeit ist viel schrecklicher als all seine Erzählungen.« Er warf einen Blick in die Runde der bleichen Gestalten, die ihn umgaben, und wandte sich schaudernd ab.
»Das war … in deiner Welt?«, fragte Gorbaz.
Aldo warf ihm einen Blick von unten zu. »Ich weiß, das ist schwer zu verstehen, aber … du hast es vielleicht schon gemerkt: dort, wo ich herkomme – ich meine, wo wir herkommen, Herr Kimberon und ich –, da ist manches etwas anders gelaufen, in der Geschichte.«
»Ich verstehe«, sagte Gorbaz.
»Oh«, machte Aldo. Er selbst hatte schon Mühe genug, zu verstehen, was geschehen war, und dass ausgerechnet der Bolg es durchschaute – oder zumindest behauptete, es zu tun –, war schon erstaunlich.
»Und was ist jetzt und hier? Mit diesem … Gorgi?«
»Wie meinst du das?«
»Kann man ihm trauen?«
Das war die Frage.
»Ich weiß es nicht«, stellte Aldo fest. »Ich denke, dass hier andere Gesetze gelten. Ich glaube, er ist kein schlechter Kerl, nach allem, was ich gehört habe. Aber diese plötzliche Verwandlung ist mir auch unheimlich, und –«
Er verstummte. Der Mund blieb ihm offen stehen.
Sie waren, nachdem sie die Wendeltreppe hinter sich gebracht hatten, einem weiteren kurzen Gang gefolgt, der plötzlich eine Biegung machte. Vor ihnen öffnete sich der Raum zu einer riesigen Halle, von Galerien umzogen. Und alles davon, jede einzelne Säule, jedes kleinste Ornament, war aus dem lebenden Fels herausgehauen worden, ebenso wie der Palast, der sich einer Kathedrale gleich im Mittelpunkt der Höhle erhob.
Er war bekrönt mit einer mächtigen Kuppel, umgeben von einem Kranz von Kapellen, reich verziert mit Blendnischen, Lisenen, Rundbogenfriesen und profilierten Gesimsen. Die Vorhalle des Portals war mit einem tief abgetreppten Gewände versehen, um das Tor vor einem nie fallenden Regen zu schützen. Das Portal selbst hob sich als heller Fleck deutlich vom dunklen Material der Umgebung ab. Aus dem hellen Gestein war die Fratze eines Drachen herausgemeißelt und durch die kristalline Struktur des Untergrunds zum Leben erweckt worden.
Burin stand da, als sei er angesichts dieses Bauwerks selbst zu Stein geworden, und starrte blinden Auges darauf.
»Ich bin hier schon einmal gewesen«, sagte er, wie in Trance. »Ich habe auf diesen Palast hinabgeblickt von der hohen Galerie, so, wie es in den alten Schriften meines Volkes verzeichnet steht. Doch ich habe immer geglaubt, dass dieser Bau nur als ein Mahnmal aus dem Fels gehauen sei, ohne Zweck, ein steinernes Monument der Zeit, und dass kein Weg hierhin führt.«
»Kein Weg der Zwerge, gewiss«, sagte
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