Die Herren der Zeit
Nachhut der Gruppe bildete.
Gorbaz zuckte die Achseln. »Zwerge sterben«, knurrte er. »Bolgs sterben. Das Leben ist kurz.«
Aldo warf einen Blick zu Gwrgi hinüber. »Mag sein«, entgegnete er. »Mit Ausnahmen.«
Gorbaz sah ihn abschätzig an. »Willst du ewig leben?«, fragte er.
Eine philosophische Frage. Aldo brauchte eine Zeit lang, um zu einer Antwort zu gelangen. »Ich weiß es nicht. Aber ich glaube, eher nein. Ich glaube, ich bin viel zu neugierig auf das, was danach kommt.«
»Ich nicht«, sagte Gorbaz. »Leben ist gut. Wenn Schluss ist, ist Schluss.«
Aldo schwieg. Sich mit einem Bolg in einem unterirdischen Stollen über Leben und Tod zu unterhalten, das hatte schon etwas sehr Merkwürdiges. So etwas hätte er sich noch vor wenigen Tagen nie vorstellen können, und auch jetzt kam es ihm ziemlich absurd vor.
Ithúriël, die den Wortwechsel mitbekommen hatte, wandte sich um. »Für die Zwerge«, sagte sie, »wiegt die Vergangenheit schwerer als die Zukunft. Darum können sie nicht vergessen, was geschehen ist; verstehst du das?«
»Und wie ist es mit den Elben?«, traute sich Aldo zu fragen.
»Oh!« Sie lachte. »Wir stehen am Anfang, weißt du das nicht? Wir haben keine Vergangenheit …«
Aldo sah sie zweifelnd an. Es klang einleuchtend, aber irgendwie vermochte er es doch nicht recht zu glauben.
»Könnt ihr da hinten mal mit dem Geschwätz aufhören?«, kam Burins Stimme von weiter voraus. »Ich möchte wissen, wie es weitergeht.«
Die anderen blickten auf, und jetzt sahen sie, wie er das gemeint hatte. Vor ihnen weitete sich der Gang zu einer großen Halle, deren Boden allmählich anstieg. Doch selbst an dem entferntesten Punkt war sie immer noch hoch genug, dass allenfalls Gorbaz, der von ihnen am größten war, sie mit den ausgestreckten Händen hätte berühren können. In dem weichen, gelblichen Licht, das die Leuchten der Gnome erzeugten, konnte man bis zu den Enden der Höhle sehen. Und dann war Schluss.
»Hier endet das Reich der Gnome«, sagte Gwrgi. »Und hier ist der Übergang in die andere Welt.«
Er hob die Hand, und die schimmernde Kugel, die darauf zu schweben schien, warf ein Licht gegen die dunkle Decke.
Was zunächst wie ein Schatten erschienen war, den ein Vorsprung in der Höhlendecke geworfen hatte, entpuppte sich bei näherem Hinsehen als ein Loch. Ein Loch mit seltsam abgezirkelten Rändern, als habe jemand mit bloßen Händen die Substanz des lebenden Felsens herausgeschaufelt.
»Dort müsst ihr hinauf.«
Burin warf einen zweifelnden Blick auf das Loch in der Decke. »Dort hoch?«
»Es sieht irgendwie unnatürlich aus, dieses Loch«, meinte Gilfalas. »So wie …«
»… so wie die Höhle, durch die wir gekommen sind, dort, wo die Gänge der Zwerge zerstört waren!«, rief Aldo aus.
»Aber das ist nicht das Werk der Gnome«, stellte Ithúriël fest. »Und Zwergenwerk auch nicht, das wissen wir.«
»Nein«, sagte Gwrgi, »das ist das Werk der Schatten.«
Als er das Wort aussprach, schien ein Schatten sich über sie zu legen. Das Licht in seiner Hand flackerte für einen Moment, ehe es wieder aufflammte und dann ruhig weiterbrannte. Doch in der Finsternis über ihnen schien sich etwas zu bewegen, schwarz vor schwarzem Hintergrund.
»Ich fürchte keine Schatten«, sagte Burin. »Wie kommen wir da hinauf? Haben wir eine Leiter oder dergleichen?«
»Mein Volk kann euch hinaufhelfen«, schlug Gwrgi vor.
Burin schnaubte: »Von denen fasst mich keiner an!« Dann, mit einer ausgesuchten Höflichkeit, an Gorbaz gewandt: »Mein großer Freund, es wäre mir eine Ehre, wenn du mir Hilfestellung leisten könntest.«
Gorbaz zog nicht einmal die Brauen hoch; ob er die Ironie in Burins Worten verstand, war ihm nicht anzusehen.
Er verschränkte die Finger seiner Prankenhände und formte einen Steigbügel daraus, dass Burin seinen Fuß hineinsetzen konnte. Dann stieg der Zwerg auf die Schultern des Bolg und tastete nach dem Boden der darüberliegenden Ebene, aber er war immer noch nicht hoch genug, um Halt für einen Griff zu finden. Gorbaz packte ihn an den Fußknöcheln und stemmte ihn mit den Armen in die Höhe. Seine mächtigen Muskeln spannten sich; an dem Zittern in seinen Armen sah man, dass selbst ihm das Gewicht des Zwerges zu schaffen machte.
»Ich bin oben«, kam Burins gedämpfte Stimme aus dem Schacht. »Du kannst mich jetzt loslassen.«
Sein Gewicht erschlaffte, als er sich hochzog, und dann waren auch seine Beine außer Sicht.
»Der Nächste«, knurrte
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