Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
stiegen, würde eine Kreditexpansion und eine höhere Kaufkraft erleben. Diese »Spielregeln«, wie Keynes sie nannte, sollten automatische Kräfte in Gang setzen, die das Gleichgewicht des Goldes zwischen den einzelnen Ländern wiederherstellten.
Aber Anfang 1927 konnten sich die Bank of England und die Banque de France nicht einigen, wie man diese Regeln anwenden sollte. Man arrangierte eine Konferenz, und am 27. Mai besuchte Norman wieder einmal die Banque de France. Dieses Treffen verlief völlig anders als die erste katastrophale Begegnung ein Jahr zuvor. Nun war Norman an der Reihe, um Hilfe zu bitten. Er sagte, es sei politisch unmöglich, in Großbritannien die Kreditvergabe zu verknappen, und dass er »das nicht tun könne, ohne Unruhen auszulösen.« Er argumentierte, das meiste Geld, das nach Frankreich floss, komme von Spekulanten, die darauf setzten, dass der Franc zulegen werde, und daher drängte er Moreau, die Zinsen zu senken. 37
Moreau seinerseits hatte gerade ein Jahrzehnt mit hohen Inflationsraten erlebt, und er wollte nicht, dass sich dies wiederholte, weil er die Kreditkonditionen lockerte. Er bestand darauf, dass er unter den Regeln des Goldstandards jedes Recht dazu hatte, seine Sterling-Bestände gegen Gold zu tauschen, und sollte dies die Reserven Großbritanniens unter Druck setzen, dann könne die Bank of England ja immer noch die Zinsen erhöhen.
Er war sich natürlich darüber im Klaren, dass eine überstürzte Vorgehensweise der Banque de France die Fähigkeit der Bank of England gefährden konnte, die Golddeckung des Pfunds beizubehalten. Daher versuchte er Norman zu beruhigen, er habe keinerlei Absicht, den Goldstandard zu destabilisieren oder das Pfund zu schwächen. Melodramatisch erklärte er: »Ich will nicht auf dem Pfund herumtrampeln.« Beide Parteien betonten, sich an die Spielregeln halten zu wollen, aber jede von ihnen war davon überzeugt, dass die andere diese Regeln nicht befolgte.
Die Briten waren jedoch nicht völlig in der Defensive. Sie betonten, dass Frankreich zwar den Gegenwert von 350 Millionen Dollar in Pfund Sterling halte, den es in Gold tauschen konnte, dass die britische Regierung aber über französische Kriegsschulden in Höhe von drei Milliarden Dollar verfüge, deren Rückzahlung sie theoretisch sofort verlangen konnte. Das Treffen endete mit einem unentschlossenen Waffenstillstand. In den folgenden Wochen machten beide Seiten halbherzige Zugeständnisse. Die Bank of England ließ es zu, dass die Zinsen in Großbritannien moderat stiegen, und die Banque de France sorgte für sinkende Zinsen. Für den Moment hatte man den Ausbruch eines offenen finanziellen Konflikts vermieden.
Schacht, Strong, Norman und Rist auf der Terrasse der New Yorker Fed im Juli 1927.
15. Ein kleiner Schluck Whisky
1927 bis 1928
Nicht jeder Fehler ist ein dummer Fehler.
Cicero
Ende 1926 machte sich dieses Quartett von Zentralbankiers schon allmählich Sorgen über die drei Faktoren, die schließlich am Ende des Jahrzehnts zu ökonomischen Umwälzungen führen sollten – die Spekulationsblase am amerikanischen Aktienmarkt, die exzessive Auslandsverschuldung Deutschlands und der immer schlechter funktionierende Goldstandard. Allerdings ahnte keiner von ihnen das Ausmaß des bevorstehenden Sturms. Hjalmar Schacht hatte sich in den Kampf mit seiner eigenen Regierung verbissen, Montagu Norman und Émile Moreau stritten untereinander und Strong kämpfte wie immer an zwei Fronten – mit seiner Gesundheit und mit seinen Kollegen innerhalb der Federal Reserve.
1926, nach fast zwei Jahren ohne Tuberkulose-Rückfall erkrankte Strong an einer Lungenentzündung, als er von einem Sommeraufenthalt in Europa zurückkehrte. Während er mit dieser neuen Krankheit, an der er fast gestorben wäre, daniederlag, wurde er wieder einmal von einer persönlichen Tragödie getroffen, die diesmal den Hauch eines Skandals hatte.
Als er sich 1923 im Cragmore-Sanatorium in Colorado Springs aufhielt, hatte er sich mit einer anderen Tuberkulose-Patientin angefreundet, der 22-jährigen Schauspielerin Dorothy Smoller aus Tennessee. Früher war sie Tänzerin in der Balletttruppe Anna Pavlovas gewesen, war mehrmals am Broadway aufgetreten und hatte sogar in einer Nebenrolle in einem Film mitgespielt. Nach einigen Monaten im Sanatorium ging ihr das Geld aus, Strong und einige andere reiche Patienten griffen ein und halfen ihr. Im November 1926 tauchte sie wieder in New York auf und ließ sich von
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