Die Herren des Geldes: Wie vier Bankiers die Weltwirtschaftskrise auslösten und die Welt in den Bankrott trieben (German Edition)
er »Unsinn!« Statt dessen ging er das Thema mit einer Art lockerer Unbekümmertheit an, die seinen Beratern zwar auf die Nerven ging, ihm aber erlaubte, durch sämtliche Komplikationen hindurch zum Kern der Sache vorzustoßen.
Seine einfache Sichtweise lautete: Da die Depression mit sinkenden Preisen verbunden gewesen war, könne es nur dann zu einer Erholung kommen, wenn sich die Preise in die andere Richtung bewegten. Seine Berater versuchten ihm geduldig zu erklären, dass er das Pferd von hinten aufzäumte – dass steigende Preise die Folge einer Erholung seien, nicht aber deren Ursache. Sie hatten damit aber nur zur Hälfte recht. Denn in einer Volkswirtschaft, wo alles mit allem verbunden ist, gibt es oft keine klare Unterscheidung zwischen Ursache und Wirkung. Natürlich hatte im Anfangsstadium der Depression der Zusammenbruch der wirtschaftlichen Aktivitäten die Preise nach unten getrieben. Aber als sie erst einmal in Bewegung gekommen waren, entwickelten die sinkenden Preise ihre eigene Dynamik. Indem sie die realen Kreditkosten erhöhten, erschwerten sie Investitionen und verursachten so eine weitere Abschwächung der Wirtschaftstätigkeit. Aus Wirkung wurde Ursache und aus Ursache Wirkung. Roosevelt wäre nicht in der Lage gewesen, alle diese Verbindungen völlig klar zu artikulieren. Aber er verstand intuitiv, dass es entscheidend war, den Deflationsprozess umzukehren und bestand darauf, eine Erhöhung der Preise sei die Lösung des Problems der Depression.
Es blieb immer noch das alte Problem von Henne und Ei: Wie sollte man die Preise erhöhen, ohne zuvor eine Erholung der Wirtschaft abzuwarten? Einige Jahre zuvor hatte Roosevelt Hilfe mit den Bäumen auf seinem Gut in Hyde Park benötigt. Henry Morgenthau, sein Freund und Nachbar im Hudson Valley, machte ihn mit dem weitgehend unbekannten 59-jährigen Wirtschaftswissenschaftler George Warren bekannt, Lehrstuhlinhaber für Agrarmanagement in Cornell und Morgenthaus ehemaliger Professor.
Der klein gewachsene und stämmige Professor mit seiner eulenähnlichen Brille, dem ernsthaften Auftreten eines Quäkers und dem Bündel Stifte, das ihm aus der Jackentasche ragte, hatte nichts von der Erdverbundenheit, die man bei einem Experten für Landwirtschaft erwarten würde. Er war als Schafhirte auf einer Ranch in Nebraska aufgewachsen und lebte immer noch auf einer über hundert Hektar großen Farm in der Nähe von Ithaka im Staat New York, wo er Nutzpflanzen anbaute und eine große Herde Holsteiner Rinder besaß. Er hatte mehrere Bücher und Broschüren über landwirtschaftliche Themen veröffentlicht, darunter eine Monografie mit dem Titel Alfalfa und eine andere zum Thema Apfelanbau in den Regionen Wayne und Orleans im Staat New York. Darin dokumentierte er ausführlich die verschiedenen Techniken des Apfelanbaus in New York bis hin zur Frage der wirksamsten Düngung. Von ihm stammten auch das Standardlehrbuch Dairy Farming über Milchwirtschaft und die zwei Grundlagenwerke The Elements of Agriculture und Farm Management . Er hatte sogar ein System entwickelt, mit dem man Hühner dazu bringen konnte, mehr Eier zu legen. Als Lehrer war er dafür bekannt, sich nicht viel aus Theorien zu machen; er legte Wert darauf, dass seine Studenten die praktische Farmarbeit kennenlernten. Seine seltsam pastoralen Moralpredigten bei solchen Besuchen waren in die Folklore von Cornell eingegangen – »Man streicht das Dach einer Scheune, um es zu erhalten. Man streicht ein Haus, um es zu verkaufen. Und man streicht die Wände einer Scheune, um sie sich anzuschauen« – obwohl keiner seiner Studenten verstand, was er eigentlich damit meinte.
Als die Preise der landwirtschaftlichen Produkte in den 1920er-Jahren sanken, hatte dieser Experte für Kühe, Bäume und Hühner auch ein Jahrzehnt damit zugebracht, die Bestimmungsfaktoren der Trends für Rohstoffpreise zu erforschen. 1932 hatten er und ein Kollege ihre Arbeiten in einer erschöpfenden Monografie mit dem Titel Großhandelspreise aus 213 Jahren: 1720–1932 veröffentlicht, die genug Aufsehen erregte, um 1933 eine Buchausgabe zu rechtfertigen. Warren konnte dokumentieren, dass die Trends der Rohstoffpreise eine starke Korrelation zum Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage beim Gold aufwiesen. Wenn große neue Goldfunde auf den Weltmarkt kamen und das Angebot die Nachfrage überstieg, stiegen die Rohstoffpreise in der Regel. Wenn es dagegen einen Angebotsengpass gab, äußerte sich dies in sinkenden
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