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Die Herren des Nordens

Titel: Die Herren des Nordens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernard Cornwell
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übrig. Seine Vorstellung
     von einer gelungenen Gesellschaft bestand aus einer langwierigen Erörterung theologischer Fragen. Trotzdem befahl er die Hunde
     und ihren Herrn in den königlichen Wohnbezirk, und ich vermutete, dass er das nur tat, um sie vor seinen Kindern auftreten
     zu lassen. Ragnar und ich gingen ebenfalls zu der Vorstellung, und dort entdeckte mich Pater Beocca.
    Der arme Beocca. Er war in Tränen aufgelöst, weil er mich lebend wiederhatte. Sein Haar, das immer rot gewesen war, hatte
     nun viele graue Strähnen. Er war jetzt über vierzig Jahre, ein alter Mann, und sein Schielauge wurde milchig. Er wurde oft
     wegen seines Hinkens und seiner verkümmerten linken Hand verspottet, allerdings wagte das niemand, solange Beocca in meiner
     Gesellschaft war. Er kannte mich seit meiner Kindheit, denn er war bei meinem Vater in Bebbanburg Priester und mein erster
     Lehrer gewesen. Mal liebte, mal verabscheute er mich, aber er hatte sich immer als Freund erwiesen. Er war auch ein guter
     Priester, ein kluger Mann und einer von Alfreds Kaplanen, und er war glücklich in den Diensten des Königs. Und nun war er
     geradezu in einem Freudentaumel und strahlte mich unter Tränen an. «Du lebst», sagte er und umarmte mich unbeholfen.
    «Ich bin schwer totzukriegen, Pater.»
    «Das stimmt, das stimmt», sagte er, «obwohl du als Kind sehr schwächlich warst.»
    «Ich?»
    «Der mickrigste Welpe im Wurf, wie dein Vater immer sagte. Dann bist du aber gewachsen.»
    |286| «Und wollte gar nicht mehr aufhören, oder?»
    «Was für ein schlauer Einfall!», sagte Beocca, der sah, wie zwei Hunde auf ihren Hinterläufen gingen. «Ich mag Hunde», fuhr
     er fort, «und du solltest dich einmal mit Offa unterhalten.»
    «Mit Offa?», fragte ich und warf einen Blick auf den Mercier, der seinen Hunden durch ein Fingerschnipsen oder einen Pfiff
     Befehle gab.
    «Er war diesen Sommer in Bebbanburg», sagte Beocca. «Er hat mir erzählt, dass dein Onkel den Palas neu aufgebaut hat. Er ist
     nun größer als zuvor. Und Gytha ist gestorben. Die arme Gytha», er bekreuzigte sich, «sie war eine gute Frau.»
    Gytha war meine Stiefmutter, und nachdem mein Vater in Eoferwic umgekommen war, hatte sie meinen Onkel geheiratet und war
     dadurch auf die Seite des Besatzers von Bebbanburg gewechselt. Ich sagte nichts zu ihrem Tod, aber nach der Vorstellung, als
     Offa und seine beiden Gehilfinnen die Reifen einpackten und die Hunde anleinten, ging ich zu ihm und erklärte, dass ich mit
     ihm sprechen wollte.
    Offa war ein seltsamer Mann. Er war so groß wie ich, von düsterer Art, besaß viel Wissen und das Merkwürdigste von allem –
     er war christlicher Priester. Eigentlich hieß er Pater Offa. «Aber ich hatte die Kirche satt», erklärte er mir im Gasthaus
Zwei Kraniche
, wo ich ihm einen Humpen Bier bezahlt hatte, «und meine Frau genauso. Ich war ihrer vollkommen überdrüssig.»
    «Also seid Ihr weggegangen?»
    «Ich bin weggetanzt», sagte er, «weggehüpft. Und wenn Gott mir Flügel gegeben hätte, wäre ich weggeflogen.»
    Inzwischen reiste er seit über zehn Jahren umher, durch alle sächsischen und dänischen Länder Britanniens, und |287| er wurde überall willkommen geheißen, denn er sorgte für Gelächter und Vergnügen. Im Gespräch aber war er von schwermütiger
     Art. Doch Beocca hatte recht gehabt. Offa war in Northumbrien gewesen, und es war wohl zu bemerken, dass er alles, was ihm
     dort begegnete, mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtet hatte. So aufmerksam, dass ich nun verstand, weshalb Alfred die Hunde
     im königlichen Wohnbezirk hatte auftreten lassen. Offa war eindeutig einer der Späher, die den westsächsischen Hof mit Neuigkeiten
     aus Britannien versorgten. «Wollt Ihr mir nicht erzählen, was in Northumbrien vor sich geht?», forderte ich ihn auf.
    Er zog ein Gesicht und sah zu den Deckenbalken hinauf. Die Männer im
Zwei Kraniche
machten sich ein Vergnügen daraus, jedes Mal eine Kerbe in einen der Balken zu schnitzen, wenn sie eine der Gasthaushuren
     anheuerten. Offa schien die Kerben zu zählen, und das konnte ewig dauern, doch dann sah er mich säuerlich an. «Neuigkeiten,
     Herr», sagte er, «sind eine Ware wie Aal oder Kuhhaut oder die Dienste einer Hure. Sie werden gekauft und verkauft.» Er wartete,
     bis ich eine Münze zwischen uns auf den Tisch legte, und danach sah er die Münze nur kurz an und gähnte, also legte ich noch
     einen weiteren Shilling neben den ersten. «Wo soll ich

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