Die Herren des Nordens
sterbenden Mann wegzujagen, doch die Jägerin war nun in wildes Gekreische
verfallen, |421| das die ganze Meute in Richtung der Pferde rasen ließ. Die Morgenluft erzitterte in dem strömenden Regen, den unirdischen
Schreien und dem Gejaule der Hunde, und die Reiter drehten angsterfüllt um und galoppierten zurück zum Torhaus. Da ertönte
ein sanfterer Ruf von der Jägerin, und die Hunde scharten sich gehorsam um die Esche und ließen die Reiter abziehen.
Ich hatte einfach nur mit aufgerissenen Augen die Geschehnisse verfolgt. Die Hunde kauerten mit zurückgezogenen Lefzen auf
dem Boden, behielten die Tür von Kjartans Palas im Blick, und dort erschien schließlich auch die Jägerin. Sie stieg über den
zerhackten Körper, den Steapa im Eingang hatte liegen lassen, und sie summte etwas für die Hunde, und sie legten sich auf
den Bauch, während die Jägerin uns über die Tiere hinweg ansah.
Es war Thyra.
Ich erkannte sie nicht sofort. Es war Jahre her, seit ich Ragnars Schwester gesehen hatte, und ich erinnerte mich an sie als
ein schönes Mädchen, glücklich, gesund und empfindsam, das vorhatte, seinen dänischen Krieger zu heiraten. Dann war der Palas
ihres Vaters niedergebrannt worden, ihr dänischer Krieger wurde getötet, und sie war von Kjartan geraubt und Sven gegeben
worden. Und jetzt sah ich sie wieder, und sie hatte sich zu einer Kreatur wie aus einem Albtraum verwandelt.
Sie trug einen langen Umhang aus Rehleder, der an ihrem Hals von einer beinernen Brosche zusammengehalten wurde, doch darunter
war sie nackt. Als sie zwischen den Hunden umherging, wurde der Umhang von ihrem Körper weggezogen, der erschreckend mager
und grässlich schmutzig war. Ihre Beine und Arme waren mit Narben übersät, als ob sie jemand immer wieder mit einem Messer
geschlagen hätte, und wo keine Narbe war, da war |422| eine Wunde. Ihr goldenes Haar war strähnig, matt und schmierig, und sie hatte abgestorbene Efeuranken in das filzige Gewirr
geflochten. Der Efeu hing ihr bis weit über die Schultern herunter. Finan bekreuzigte sich bei ihrem Anblick. Steapa tat es
ihm gleich, und ich tastete nach meinem Hammeramulett. Thyras gebogene Fingernägel waren so lang wie ein Kastriermesser, und
dann wedelte sie mit diesen Hexenhänden herum und schrie mit einem Mal die Hunde an, die sich krümmten und jaulten, als litten
sie schreckliche Schmerzen. Sie sah zu uns herüber, und mein Blick begegnete dem Wahnsinn in ihren Augen, und ein Angstschauer
überlief mich, denn unvermittelt hockte sie sich auf den Boden, zeigte auf mich, und aus ihren blitzenden Augen sprühte reiner
Hass. «Ragnar!», schrie sie. «Ragnar!» Der Name klang aus ihrem Mund wie ein Fluch, und die Hunde drehten sich zu mir um und
starrten mich an, und ich wusste, dass sie sich auf mich stürzen würden, sobald Thyra das nächste Mal den Mund öffnete.
«Ich bin Uhtred!», rief ich ihr zu. «Uhtred!» Ich nahm meinen Helm ab, sodass sie mein Gesicht sehen konnte. «Ich bin Uhtred!»
«Uhtred?», fragte sie, ohne mich aus den Augen zu lassen, und in diesem Moment wirkte sie ganz vernünftig, sogar bestürzt.
«Uhtred», sagte sie noch einmal, und es klang, als ob sie versuche, sich an den Namen zu erinnern, aber immerhin lenkte der
Ton die Hunde von uns ab, und dann fing Thyra an zu schreien. Es war kein Schrei für die Hunde, sondern ein jammernder, heulender
Schrei, der an die Wolken gerichtet war, und dann wandte sie jählings ihren Zorn gegen die Hunde. Sie klaubte Hände voller
Schlamm auf und bewarf sie damit. Noch immer sprach sie nicht zu ihnen, doch die Tiere verstanden ihre Laute, und sie gehorchten
ihr, indem sie über die steinige Hügelkuppe |423| von Dunholm hetzten, um den neuen Schildwall beim Tor anzugreifen. Thyra folgte ihnen, rief ihnen etwas zu, spuckend und bebend,
trieb die Höllenmeute in Raserei, und die Angst, die mich wie angewurzelt auf dem kalten Boden hatte erstarren lassen, verging,
und ich rief meinen Männern zu, Thyra zu folgen.
Diese Hunde waren schreckliche Wesen. Untiere aus dem Schlund der Weltenverwirrung, die nichts konnten außer zu töten, und
Thyra trieb sie immer weiter an mit ihren hohen, heulenden Schreien, und der Schildwall löste sich auf, lange bevor der erste
Hund überhaupt dort war. Die Männer flohen, zerstreuten sich auf Dunholms weiter Felsenkuppe, und die Hunde verfolgten sie.
Nur ein paar Tapfere blieben beim Tor, und dorthin wollte ich jetzt.
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