Die Herren des Nordens
mit den Sklavenketten blutige Schrammen hinterlassen.
«Wie hieß deine Mutter?», fragte ich ihn. Er starrte mich an und schien unfähig zu sprechen. Die Mönche forderten kreischend
seinen Tod. «Wie hieß deine Mutter?», fragte ich ihn erneut.
«Elflæd», sagte er zögernd, aber so leise, dass ich ihn nicht verstand. Ich runzelte die Stirn, wartete, und er wiederholte
den Namen. «Elflæd.»
«Elflæd, Herr», berichtigte ich ihn.
«Sie hieß Elflæd, Herr», sagte er.
«War sie Sächsin?»
«Ja, Herr.»
«Und hat sie versucht, deinen Vater zu vergiften?»
Er schwieg einen Moment, dann ging ihm auf, dass ihm die Wahrheit nicht mehr schaden konnte. «Ja, Herr.»
«Und wie?» Ich musste meine Stimme erheben, um den Lärm der Menge zu übertönen.
«Mit den schwarzen Beeren, Herr.»
«Tollkirschen?»
«Ja, Herr.»
|138| «Wie alt bist du?»
«Ich weiß nicht, Herr.»
Vierzehn, schätzte ich. «Liebt dich dein Vater?», fragte ich.
Diese Frage verwirrte ihn. «Mich lieben?»
«Kjartan. Er ist dein Vater, oder nicht?»
«Ich kenne ihn kaum, Herr», sagte Sihtric, und das stimmte wahrscheinlich. Kjartan hatte in Dunholm bestimmt hundert Bälger
in die Welt gesetzt.
«Und deine Mutter?», fragte ich.
«Ich habe sie geliebt, Herr», sagte Sihtric und kämpfte wieder mit den Tränen.
Ich ging näher an ihn heran, und sein Schwertarm schwankte, doch er versuchte sich aufrecht zu halten. «Auf die Knie, Junge»,
sagte ich.
Mit einem Mal sah er mich aufsässig an. «Ich will ehrenvoll sterben», sagte er, und seine Stimme war schrill vor Angst.
«Auf die Knie!», schnarrte ich, und meine Stimme jagte ihm so viel Schrecken ein, dass er auf die Knie fiel und sich nicht
rühren konnte, als ich vor ihn trat. Er zuckte zusammen, als ich Schlangenhauch umdrehte, weil er erwartete, dass ich ihm
den schweren Knauf überziehen würde. Doch als ich ihm das Heft des Schwertes entgegenhielt, überzog ungläubiges Staunen sein
Gesicht. «Fass an», sagte ich, «und sprich die Formel.» Er starrte immer noch zu mir hoch, schaffte es endlich, seinen Schild
und sein Schwert loszulassen und legte seine Hand auf Schlangenhauchs Heft. Ich legte meine Hand über seine. «Sprich die Formel»,
forderte ich ihn erneut auf.
«Ich bin Euer Mann, Herr», sagte er und sah zu mir empor, «und ich werde Euch dienen bis in den Tod.»
«Und darüber hinaus», sagte ich.
|139| «Und darüber hinaus, Herr. Das schwöre ich.»
Jænberht und Ida legten als Erste Widerspruch ein. Die beiden Mönche traten über die Haselruten in das Kampffeld und schrien,
der Junge müsse sterben, es sei Gottes Wille, dass er sterbe, und Sihtric zuckte erneut zusammen, als ich ihm Schlangenhauch
wegzog und das Schwert herumschwang. Die Klinge, rot von frischem Blut und schartig vom Kampf, zischte zu den Mönchen, und
mit der Spitze genau vor Jænberhts Gurgel hielt ich sie unvermittelt bewegungslos. Raserei wollte mich überwältigen, die Raserei
der Schlacht, der Blutrausch, die Lust am Töten – doch alles, was ich tun konnte, war zu verhindern, dass Schlangenhauch sich
noch ein Leben nahm. Mein Schwert wollte es, ich spürte sein zitterndes Verlangen in meiner Hand. «Sihtric ist mein Mann»,
sagte ich zu dem Mönch, «und wenn ihm irgendjemand etwas tut, ist er mein Feind, und ich bringe dich um, Mönch, wenn du ihm
etwas tust, und ich tue es, ohne ein zweites Mal darüber nachzudenken.» Ich brüllte inzwischen und drängte ihn zurück. Ich
bestand nur noch aus Wut und Blutrünstigkeit, und ich wollte seine Seele. «Leugnet hier irgendjemand», rief ich, und es gelang
mir endlich, Schlangenhauchs Spitze von Jænberhts Kehle zu entfernen und das Schwert einmal im Kreis zu schwingen, damit sich
die gesamte Menge angesprochen fühlte, «dass Sihtric mein Mann ist? Irgendjemand?»
Niemand sagte ein Wort. Eine Windbö rauschte über Cair Ligualid, und man roch den Tod in diesem Hauch. Niemand sagte ein Wort,
aber ihre Stille befriedigte meinen Zorn nicht. «Irgendjemand?», rief ich erneut und hoffte verzweifelt auf einen, der meine
Herausforderung annehmen würde. «Du kannst ihn dann nämlich jetzt töten. Du kannst ihn hier und jetzt töten, so wie er da
kniet, aber vorher musst du erst mich töten.»
|140| Jænberht beobachtete mich. Er hatte ein schmales, dunkles Gesicht und verschlagene Augen. Sein Mund war entstellt, vielleicht
war ihm als Kind ein Unglück zugestoßen, und diese Entstellung
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