Die Herren vom Berge: Historischer Kriminalroman (German Edition)
zusammengepresst. Sie hatte mit allem Möglichen gerechnet, als sie zu der Äbtissin gerufen wurde, doch dies übertraf ihre schlimmsten Erwartungen bei Weitem.
»Liebes, bitte dreh dich wieder um«, sagte die Äbtissin unendlich sanft. »Ich möchte dich gerne anschauen, wenn wir miteinander reden. Ich denke, das kann ich von dir erwarten.«
Agnes drehte sich ruckartig, der schwarze Schleier, den sie nach Nonnenart über dem weißen Kopftuch trug, wirbelte herum. Mit starrem Blick schaute sie zu ihrer Herrin hinüber, die weiterhin ruhig am Tisch saß. Vor einigen Augenblicken war der jungen Nonne eröffnet worden, dass sie mit dem, wie sie es ausdrückte, verdammten Besserwisser Ludolf zur Schalksburg bei Minden ziehen sollte. Sie war wütend aufgesprungen. Heilwig hatte mit solch einer Reaktion gerechnet. Ob man es vorsichtig sagte oder direkt ins Gesicht, es war so oder so verkehrt. Wie konnte so ein kluges Menschenkind so unbeherrscht sein? Sie war doch kein junges, verzogenes Mädchen mehr.
Agnes fragte nun bestimmt zum dritten Mal: »Warum Ludolf? Warum kein anderer? Mit dem Kerl gibt es nur Ärger. Mit dem ist keine Zusammenarbeit möglich.« Sie nannte ihn für sich seit jeher nequam portentum, das nichtsnutzige Scheusal. In diesen einen Ausdruck konnte sie all die Abscheu hineinlegen, die sie für Ludolf empfand. Das sagte sie natürlich nicht offen.
Die Äbtissin war zwar äußerlich absolut ruhig, innerlich aber zutiefst gereizt. Es mochte ja sein, dass es früher zwischen Ludolf und Agnes andauernd Streit gegeben hatte. Seit sie Kinder waren, bekriegten sie einander und lieferten sich Wortgefechte. Zum Glück hatten sich in den letzten Jahren ihre Wege getrennt. Agnes unterrichtete im Stift, und Ludolf half entweder seinem Vater bei der Verwaltung des Domhofes oder war zu Studien im Kloster Hildesheim. So war es ein wenig ruhiger zwischen den Streithähnen geworden. Jetzt ging es aber um eine äußerst wichtige Angelegenheit, da mussten sie sich einfach zusammenraufen können.
»Ist dir bewusst, dass im Moment du diejenige bist, die nicht zur Zusammenarbeit fähig scheint?«
Die junge Frau machte ein verblüfftes Gesicht. Damit hatte sie nicht gerechnet. »Ich? Bitte verzeiht. Aber er ist doch derjenige, der meint, seine Studien würden ihn zum klügsten Menschen der Welt machen.«
Heilwigs Ton gewann an Schärfe. Sie machte Agnes klar, dass sie diese Einstellung nicht dulden konnte. Agnes sollte wissen, dass sie zu Gehorsamkeit und Treue verpflichtet war. Diese Mission wurde vom Bischof gewünscht, das Stift hatte sich bereit erklärt, und alle hatten sich dementsprechend zu verhalten. Zwist und Streit hatten unter diesen Umständen hier nichts verloren.
»Ja, Herrin«, kam es merklich leiser. Die Scholasterin schaute beschämt zur Erde. Es fiel ihr einfach immer wieder schwer, ihr ungestümes Temperament zu zügeln.
Die Äbtissin sprach weiter. »Wir haben einen wichtigen Auftrag vom Bischof bekommen. Wir müssen klug und vorsichtig handeln. Mit Wut und Ärger im Bauch wird das nicht möglich sein.«
»Warum aber gerade Ludolf?«
»Ihr beide seid umsichtig, vertrauenswürdig und verschwiegen. Ihr seid belesen und gebildet, jeder zwar auf seinem eigenen Gebiet, aber ihr könnt euch sehr gut ergänzen. Ihr solltet diese Aufgabe lösen können, wenn ihr es schafft, euch zusammenzuraufen. Gemeinsam erreicht ihr mehr als jeder für sich allein.«
»Ludolf wird mich mehr stören als helfen. Bitte nicht er. Andere sind ebenso klug. Wie kann Ludolf jemandem helfen? Mit Alchemie und Magie?«
»Nicht alles, was man nicht kennt, ist schlecht. Nicht alles, was man nicht erklären kann, darf man schnell als Magie abtun. In ein paar Jahren gibt es neue Entdeckungen, und plötzlich ist einiges von dem, was wir heute als teuflisch oder dämonisch ansehen, das Natürlichste von der Welt. Wer kennt schon alle Länder der Erde? Wer weiß, welche Tiere es dort gibt? Oder wer kennt alle Pflanzen genau? Einige Kräuter helfen jetzt schon, Leiden und Krankheiten zu lindern. Vielleicht ist Ludolf einer von denen, die weitere Geheimnisse der Natur ergründen und neue Heilmittel finden.«
»Er ist ein Angeber. Wenn er von den Büchern redet, die er schon alle gelesen hat, wird mir ganz schlecht. Er kennt wohl die Titel und Schreiber, aber er hat sie bestimmt nicht gelesen, schon gar nicht verstanden.«
»Schluss jetzt, es ist genug. Die Sache ist beschlossen, und ich erwarte, dass du dich daran hältst!«
Agnes
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