Die Herren von Buchhorn
die Holzkisten vom Wagen zu zerren, hielten naserümpfend inne. »Ach, da sind Leichen drin. Das erklärt einiges. Wir bringen sie in die Hauskapelle. Befehl vom Herrn. Steh uns nicht im Weg.« Ein zweiter Stoß traf Gerald. »Wenn’s wirklich deine Eltern sind, können sie sich freuen, mal eine Nacht in einer herrschaftlichen Kapelle zu verbringen. Und jetzt hau ab!«
Ihr Gelächter brachte Gerald beinahe um den Verstand. Das letzte Mal, als er sich so wütend und hilflos gefühlt hatte, war er einfach weggelaufen. Jetzt war sein Vater tot, und die bösen Worte würden nie wieder zurückgenommen werden. Er schluckte und zwang sich zur Ruhe. »Ich werde mit euch kommen.«
»Bist du verrückt, Kerl? Einer wie du in der Hauskapelle des Herrn?«
Geralds Augen blitzten auf. »Einer wie ich? Was bist du denn? Ein dreckiger Knecht, der den Pferdemist wegschaufelt. Ich bin der Schmied des Junkers.« Innerlich atmete er auf, als niemand die Lüge infrage stellte.
Im Gegenteil, in den Augen des Knechtes blitzte sogar etwas wie Respekt auf. »Und die Toten sind deine Eltern?«
Gerald nickte mit zusammengepressten Lippen.
»Na, dann komm. Du kannst mir tragen helfen. Schmied bist du also? Was hast du denn als Letztes für den Junker gemacht?«
»Ein … Schwert.« Gerald wusste nicht recht, was er mit dem plötzlichen Stimmungsumschwung anfangen sollte, aber das Interesse des Mannes schien ernst gemeint zu sein. Er zauberte sogar eine kleine Korbflasche hervor und reichte sie Gerald mit einem Zwinkern. »Nimm einen Schluck, du siehst ganz schön käsig aus.«
Immer noch verwirrt, akzeptierte Gerald die Flasche und setzte sie an die Lippen. Ein Feuerstoß zerriss seine Kehle, Tränen traten ihm in die Augen.
Der Knecht lachte herzlich. »Gutes Zeug, nicht wahr? Das bringt dich wieder auf die Beine.«
»D-danke!« Gerald lehnte sich an die Wand und wartete, bis der Innenhof sich langsamer drehte. Während er wieder zu Atem kam, fiel ihm eine lachende Gruppe auf. Zuerst dachte er, dass sie sich über ihn lustig machten, doch die ersten Gesprächsfetzen belehrten ihn eines Besseren.
»Was meint ihr, ob der Junker es noch mal bei ihr probiert?«
»Bei ’ner Nonne? Wohl kaum.«
»Aber gerade bei ’ner Nonne. Die muss doch heiß wie sonst was sein! Kein Acker ist so dankbar wie ein ausgetrockneter!«
Die Lachsalve ebbte nur allmählich ab. Gerald sah verstohlen genauer hin und erkannte Ludowigs adlige Reisebegleiter. Er kämpfte den letzten Hustenreiz nieder.
»Aber es würde mich schon interessieren, ob sie es weiß.«
»Was denn?«
»Na, dass er sich darum bemüht hat, ihre Kinder zu adoptieren. Dem ist doch jeder Weg recht, um sie doch noch ins Bett zu kriegen!«
Gerald hielt den Atem an.
»Ach, sei doch still«, mischte sich jetzt ein Dritter ein. »Die Sache ist vom Tisch.«
»Sicher? Wieso ist sie dann hier, he?«
»Weißt du doch, wegen der beiden dort drüben.« Er nickte zu den Särgen hinüber.
Gerald drehte hastig den Kopf weg.
Der Knecht musterte ihn mit einem gutmütigen Grinsen. »Bei allen Heiligen, du siehst immer noch aus, als wär’ einer über dein Grab gelaufen. Noch einen Schluck?«
»Nein, bloß nicht. Lass uns meine Eltern in die Kapelle bringen.«
Mit den aufeinandergestapelten Holzkisten stolperten sie durch das satter werdende Abendlicht. Es war harte Arbeit, doch Gerald war dankbar, dass er seinen Eltern diesen Dienst erweisen durfte. Sie betraten die Kapelle schließlich durch einen Seiteneingang. Ächzend stellten sie die Kisten ab und wischten sich den Schweiß von der Stirn.
»Wir sollten«, sagte der Knecht mit unwillkürlich gedämpfter Stimme.
»Ich möchte noch ein Gebet für sie sprechen. Keine Sorge«, setzte Gerald hinzu, als er den Blick des Mannes auffing. »Du bekommst keinen Ärger deswegen.«
»Schon gut. Wenn mein Sohn so trauerte, wenn ich mal nicht mehr bin, wär’ ich dankbar. Mach’s gut, Schmied.«
Gerald nickte und wartete, bis sich die Türe geschlossen hatte. Tiefe Stille umfing ihn plötzlich. Er ging den kurzen Mittelgang entlang zum Altar und wollte eben niederknien, als er eine Bewegung in den dichter werdenden Schatten wahrnahm.
Er blieb stehen. »Gräfin! Verzeiht, ich …«
Wendelgard erhob sich von den Knien und machte eine beschwichtigende Handbewegung. »Du störst mich nicht. An diesem Ort ist jeder willkommen. Die Toten wie die Lebenden.«
»Die Reichen wie die Armen«, sagte er leise.
»Auch das«, erwiderte sie mit einem schwachen
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