Die Herren von Buchhorn
sie dann nicht versucht, in den Besitz der Spange zu kommen?«
»Das ist eine sehr gute Frage, mein Freund«, bemerkte der Bischof und fuhr sich durch das schüttere Haar. »Und ich bin sicher, dass wir eine Antwort erhalten werden. Aber jetzt lass uns gehen. Ich bin todmüde.«
Der dichte Wald gab Agnes ein Gefühl der Gottesnähe. Die Zweige ragten hoch in den Himmel, und nur wenn sie den Kopf in den Nacken legte, konnte sie die Sterne über sich sehen. Das sanfte Rauschen erfüllte ihr Herz mit ekstatischer Freude.
»Herr Gott im Himmel, ich danke dir«, flüsterte sie und schlang die mageren Finger ineinander. »Du hilfst mir, dein Werk zu vollbringen, auch wenn ich eine Sünderin bin.« Ihr Schritt wurde langsamer, und obwohl ihre Füße kaum durch die dünnen Schuhe geschützt wurden, blieb sie endlich auf dem schlammigen Waldboden stehen. »Herr, ich werde tun, was immer du von mir verlangst. Aber lass ihn frei von Schuld bleiben. Ich bitte dich, Herr, behüte ihn da, wo es nicht mehr in meiner Macht steht. Er ist ein guter Mann. Es ist nicht seine Schuld, wenn ihn zwei blaue Augen zur Sünde reißen.« Sie stöhnte leise auf. »Adero! Und wenn er wirklich käme, der tot geglaubte Graf? Würde der Bischof es zulassen, dass sie ihm wieder in die Arme sinkt? Wendelgard, schöne, blonde Wendelgard, für die sogar die heilige Wiborada eine Ausnahme macht, wenn sie nachts um ihren Buhlen stöhnt. Schöne Wendelgard, die sogar die Zelle der Klausnerin mit ihrem sündigen Schmerz erfüllt hat. Und nun bist du wieder da, Sünderin Wendelgard, und deine blauen Augen suchen nach einem neuen Opfer. Oh, du hältst sie sittsam zu Boden geschlagen, diese Augen, aber in deinem Herzen rast bereits das Feuer der Sünde. Dir war die Zelle immer zu eng, du Schlange, und nun bist du herausgekrochen, um weitere Paradiese zu vernichten.«
Agnes schrie leise auf, als dicht an ihrem Ohr etwas flatterte. Eine Fledermaus sauste an ihrer Wange vorbei. Ihre dunklen Augen glühten. Wieder begann sie, zu laufen. Ihr rechter Fuß prallte gegen einen Ast und brachte sie ins Straucheln. Sie bückte sich und betrachtete das verkrümmte Stück Holz. »Willst du mich daran erinnern, wie wenig nötig ist, damit wir fallen, Herr?«, flüsterte sie. »Adero. Und wenn er käme und Wendelgard ihn wiederbekäme? Sollen die beiden doch zur Hölle fahren, solange Ludowig ihr nicht anheimfällt. Aber wahrscheinlich hat der Mönch recht, und Udalrich ist längst gestorben und verdorben. Und was dann? Wenn Ludowig herausbekommt, dass ich die Spange gesehen habe, ohne ihm davon zu erzählen, wird er mir nie verzeihen. Gott, was soll ich nur tun?«
Sie schleuderte den Ast von sich und wollte eben ihren Marsch wieder aufnehmen, als das Unterholz ganz in ihrer Nähe krachte. Die Schattenrisse zweier Reiter zeichneten sich gegen den Nachthimmel ab. Agnes hielt den Atem an und drückte sich gegen einen Baumstamm.
»Hast du sie gefunden?«
Agnes presste die Hand auf das Herz.
Eine zweite Männerstimme antwortete: »Nein, Herr. Es ist zu dunkel.«
Sie trat aus dem Schatten. »Ludowig? Hier bin ich!«
Als er sein Pferd herumriss, konnte sie auch sein Gesicht erkennen. Wärme durchströmte sie von Kopf bis Fuß.
»Agnes? Ich bin froh, dass ich dich …« Sein Blick huschte zu seinem Begleiter. »Dass ich Euch gefunden habe. Wir haben uns schon Sorgen um Euch gemacht.«
Auch ihr Blick streifte den Mann. »Das war nicht nötig. Ich habe in der Einsamkeit Gott gesucht. Er beschirmt mich.«
»Und doch gibt es Gefahren, die auch vor der Heiligkeit einer frommen Frau nicht haltmachen«, bemerkte der Junker mit einem leichten Lächeln, während er sich aus dem Sattel schwang. »Du kannst zum Schloss zurückreiten. Ich kümmere mich um die fromme Schwester.«
»Ja Herr!« Der Mann nickte Agnes zu und war wenig später mit der Dunkelheit verschmolzen.
Ludowig wartete, bis auch das letzte Geräusch von Ross und Reiter in der Nacht verklungen war, dann wandte er sich Agnes zu. »Was hat dich aufgehalten, in drei Teufels Namen? Willst du Verdacht erregen?«
Die Wärme machte eisiger Kälte Platz. Sie senkte den Blick und schwieg. Erst als er ihren Arm packte und so fest drückte, dass sie beinahe aufgeschrien hätte, sah sie ihm wieder ins Gesicht.
»Agnes, ich will eine Antwort!«
»Du tust mir weh!«
»Dann rede«, sagte er, aber er ließ sie los.
Ihre Hand tastete über die Druckstellen. »Ich wollte noch beten, in der Kirche. Du weißt …«
»Ja
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