Die Herren von Buchhorn
Hannes Gesichtsausdruck veränderte sich. »Erzähl!«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen. Man hat die Falschen bestraft. Diese Männer waren es. Einen hab ich verwundet. Also müssen sie sich irgendwo verstecken. Sie haben Pferde.«
Hannes’ Augenbraue zuckte nach oben. »Pferde? Sind es Edelleute?«
»Wohl eher Räuber, die sich auch mit Pferdediebstahl durchschlagen. Ich bin alle möglichen Verstecke durchgegangen, aber mir ist nichts Geeignetes eingefallen. Was denkst du? Wo könnten sie sein?«
»Im Wald. Da gibt es genug Schlupfwinkel.« Hannes grinste gemein. »Frag doch deinen Oheim.«
Gerald versetzte dem Tisch einen weiteren Tritt. »Auf keinen Fall geh ich zu diesem Spinner. Ich war nicht mehr da, seit ich ein kleiner Junge war. Außerdem kenne ich den Weg nicht.«
Hannes grinste noch breiter. »Dein Gaul kennt ihn.«
»Ich reite nicht.«
»Dann nimm den Wagen. Du bist Schmied und brauchst Kohle. Aber sei vorsichtig! Sigurd hat etwas gegen Fremde, und wen er nicht leiden kann, den begrüßt er schon mal mit seiner Keule.«
Gerald schnaufte. »Ich weiß, als Junge konnte ich nicht oft genug bei ihm sein, aber später …« Er zuckte die Achseln. »Ich bin erwachsen geworden. Ohm Sigurd nicht. Ich glaub, er hat später nur noch meine Eltern, Gott hab sie selig, um sich geduldet.«
»Amen, Gerald.« Hannes’ Blick drückte etwas wie amüsiertes Mitgefühl aus. »Und jetzt sind alle tot, die er je geschätzt hat. Deine Eltern, der Graf …«
»Der Graf?« Gerald riss die Augen auf. »Graf Udalrich?«
»Nein, Graf Schlagmichtot. Natürlich Udalrich! Was glaubst du, wem der wirre Alte es verdankt, die Köhlerei zu betreiben, anstatt fortgejagt zu werden! Deinem Vater? Der Graf hat ihm diese Arbeit gegeben.«
»Dann bleibt mir wohl kein anderer Ausweg!«
Hannes lachte in sich hinein. »Mann! Du willst es mit einem verrückten Onkel und einer Schar von brutalen Schlägern gleichzeitig aufnehmen? Viel Spaß. Ich hoffe, du begegnest zuerst den Räubern.« Er lachte laut auf und ging prustend zurück zum Ausschank, um noch ein Bier zu holen. Als er es vor Gerald hinstellte, sagte er: »Geht auf mich. Essen kommt gleich.«
»Danke.«
Während Gerald auf sein Essen wartete, dachte er über Sigurd nach. Er erinnerte sich an ein verwittertes Gesicht, an zwei blaue Augen, die so hell waren, dass sie im Sonnenlicht farblos erschienen. Alle nannten ihn nur den Laubflüsterer, denn Sigurd glaubte, mit den Bäumen reden zu können. Er versuchte vergeblich, sich den Grafen bei dem wahnsinnigen, alten Köhler vorzustellen.
Erst Hannes, der ihm eine Schale mit einem fleischlosen Hirsebrei hinstellte, brachte ihn auf andere Gedanken. Trotzdem konnte Gerald das Essen nicht genießen. Er aß, ohne darauf zu achten, was er auf dem Löffel hatte, dann legte er ein paar Münzen auf den Tisch und verließ die Schänke. Nur wenige Menschen begegneten ihm auf seinem Weg durch das beschauliche Buchhorn. Er grüßte eine Frau, die am Seeufer Wäsche wusch, und einen alten Mann, der mit schlurfenden Schritten der Schänke zustrebte. Ein Junge rannte an ihm vorbei. Gerald sah ihm nach. Früher hatte er unten am See auch Verstecken gespielt.
Als er auf sein Elternhaus zuging, musste er wieder an Fridrun denken. Plötzlich konnte er sie sich gut darin vorstellen. Sie würde auf ihn warten, wenn er heimkam, und irgendwann würden ihre gemeinsamen Kinder ihm entgegenlaufen.
Seufzend ging er in den Stall und streichelte Wildfangs magere Kruppe, ehe er das alte Pferd ins Freie führte. »Komm, mein Brauner. Es gibt Arbeit.« Er legte Wildfang das Geschirr an und spannte ihn vor den Karren. »Hüa!«
Er lenkte das kleine Fuhrwerk aus dem Ort nach Norden. Bald umgaben sie die hohen Baumriesen. Gerald fühlte, wie die Angst näher schlich. Bei jedem Knacken im Unterholz fuhr er zusammen. »Mach dich nicht verrückt!«, befahl er sich selber, doch sogar seine eigene Stimme kam ihm fremd und verzerrt vor.
Am Waldrand bogen zwei Wege ab, während der Hauptweg weiter zur Burg hinauf führte. »Nun, alter Junge, wo geht es zu Sigurd?«, flüsterte er dem Pferd zu. Wildfang spitzte die Ohren. Als er spürte, wie die Zügel locker gelassen wurden, trabte er mit sanftem Schnauben nach links.
»Ich hoffe, du weißt, was du tust. Und ich hoffe, dass niemand hört, wie ich mit einem Pferd spreche.«
Wildfang folgte dem Weg, der westlich um die Burg herum führte. Als sie die Burg hinter sich gelassen hatten, trieb Gerald den Gaul zu
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