Die Herren von Buchhorn
meinem Dach vor?«
Ihm fiel auf, dass sie wieder die Kleidung einer Nonne trug, dennoch sah er keine Inkluse auf sich zukommen, sondern eine aufgebrachte Frau, eine Gräfin. »Was meinst du damit?«, fragte er ruhig.
Wendelgard stemmte die Hände in die Taille und funkelte ihn wütend an. »Agnes ist tot, aber ich habe allein für sie gebetet. Anstatt mir beizustehen, triffst du dich heimlich mit dem jungen Schmied.«
Er hob die Hand. »Du vergisst dich!«
»Ja, ich habe viel vergessen. Aber ich kann immer noch sehen und hören. Geralds Sohn war heute zweimal hier. Warum?«
Salomo stand schwerfällig auf.
Sie stampfte auf den Boden. »Nein, spiel jetzt nicht den alten Mann! Der bist du nicht!«
Er seufzte. »Gerald will wissen, wer seine Eltern ermordet hat. Ich unterstütze ihn dabei.«
»Hat Ludowig etwas damit zu tun?«
Sein Blick wurde so stechend, dass sie auf ihre Hände sah. »Und wenn es so wäre?«
»Was hast du bloß gegen ihn? Er meint es gut. Manchmal glaube ich, dass er mein einziger Freund hier auf Buchhorn ist!«
»Wendelgard!« Er griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Muss ich dir tatsächlich befehlen, dich bis zum Tag der Armenspende einzuschließen?«
»So also!« Sie riss sich los. »Ich will doch nur wissen, was unter meinem – unter Udalrichs Dach – vor sich geht! Niemand spricht mit mir. Aber die Menschen um mich herum sterben.«
»Dann bete, dass dieses Töten aufhört! Du magst dich als Gräfin fühlen, aber du bist eine Klausnerin!«
»Ja, mein Abt«, presste sie hervor. »Ich werde beten. Aber ich werde auch fragen. Denn einschließen werde ich mich erst wieder nach dem Gedenken an seinen Tod.«
»Und wenn dein Abt es dir befiehlt?«
»Dann …« Sie lächelte plötzlich. »Dann werde ich meinen Freund bitten, dass er bei dem Abt ein gutes Wort für mich einlegt.«
»Oh Wendelgard!« Salomo ließ sich matt auf seinen Stuhl sinken. »Geh einfach, Mädchen. Geh und mach mir keinen Ärger mehr.«
»Danke, Salomo«, flüsterte sie. »Wenn alles vorbei ist, verspreche ich, folgsam zu sein.«
»Versprich nichts, was du nicht halten kannst.« Er sah der hellen Gestalt nach, und sein Herz zog sich zusammen. Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, stützte er den Kopf in die Hände und massierte seine Schläfen. »Was planst du, Herr? Wie wird das alles enden?«
Gerald fühlte sich seltsam, nachdem er das Wams seines Vaters übergestreift hatte. Er steckte einen Dolch in den Gürtel und einen zweiten längeren unter sein Hemd und ballte die Faust, sodass die Muskelstränge an seinen Armen hervortraten. »Also dann, Vater, ich bringe es zu Ende. Ich werde nicht mehr davonlaufen. Du wirst stolz auf mich sein. Und wenn er mich immer noch bestrafen will, dann werde ich mich seinem Urteil beugen.«
Bei den letzten Worten verfinsterte sich sein Gesicht, sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen, als er an die hässlichen Szenen dachte, die sich zwischen ihm und seinem Vater abgespielt hatten, an die ersten, schweren Jahre in Bregenz. »Bin ich wirklich ein Verräter? Nur weil ich nicht sterben wollte? Und was wird jetzt?«
Langsam, beinahe mechanisch räumte er das kleine Zimmer seiner Eltern auf, fütterte Wildfang und ging schließlich zur ›Buche‹. Sein Magen knurrte, doch ein kleiner, ehrlicher Teil in ihm gab zu, dass es weniger der Hunger war als die Hoffnung, den Gang, der ihm bevorstand, ein wenig hinauszuzögern.
Als er die ›Buche‹ betrat, wurde es verdächtig still. Die wenigen Gäste, die um diese Zeit hier eingekehrt waren, musterten ihn wie einen Fremden. Er setzte sich an einen der derben Holztische und winkte Hannes, als dieser zu ihm blickte.
Der Wirt ließ sich Zeit. »Was willst du?«, fragte er endlich knapp.
Gerald hob verwirrt die Brauen. »Was ist denn los? Ist es wegen Fridrun?«
»Die hat jetzt eine bessere Stelle, und ich gönn es ihr. Aber was ist mit dir? Viele fragen sich, was du hier willst. Gefällt’s dir in Bregenz nicht mehr?«
»Was soll das? Das letzte Mal hieß es noch, dass die Schmiede unbedingt einen Nachfolger braucht. Da habt ihr alle euch vor Freundlichkeit überschlagen. Ist doch egal, ob ich aus Bregenz komme. Oder?«
»Aber aus Bregenz kommen auch so einige üble Kerle, und die waren vorher nicht da. Erst seit du hier bist. Die Schramme an deinem Kinn stammt von denen, wie?«
»Ja.« Gerald stieß mit dem Fuß gegen das Tischbein. »Ich glaube, dass diese Kerle meine Eltern ermordet haben.«
»Oh.«
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