Die Herrin der Kathedrale
Trank des heilsamen Andorn die drohende Lebensgefahr.« 26 Sanft fuhr Hazecha mit der Hand über die Pflanzen, die ihre weißen Blüten der Sonne entgegenreckten, und seufzte. »Auch wenn seit Eurem Tod viele Tage vergangen sind, jetzt, wo Ihr mir so nahe seid, vermisse ich Euch noch um vieles mehr als früher. Aber bald ist es so weit. Zum Fest von Christi Geburt werden Uta und ich vor das kaiserliche Gericht treten. Die Kaiserin hat es gestattet, berichtete mir Utas Bote.«
»Besuch für Euch, Schwester Hazecha!«, rief Äbtissin Adelheid von der Tür des Hauptgebäudes aus, die sich am anderen Ende des Klostergartens befand.
Einige Pflänzchen Unkraut zwischen den Fingern blickte Hazecha auf. Da trat der Besucher auch schon hinter Adelheid hervor. »Schwesterlein, wie schön dich wiederzusehen.« Beim Anblick des Bruders erstarrte Hazecha in der Hocke.
»Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Graf?«, fragte die Äbtissin auf ihr Lilienszepter gestützt und blickte zu Hazecha hinüber.
»Eure Information über die Abwesenheit meiner Schwester hat mir bereits genug geholfen«, entgegnete er, »und habt Dank für den köstlichen Wein, Äbtissin.«
Adelheid deutete eine Verbeugung an. »Dann lasst den Kaiser meine ergebenen Grüße wissen!«
Esiko nickte knapp und trat dann auf Hazecha zu, die noch immer wie gelähmt vor dem Kräuterbeet hockte. Eine Armlänge vor ihr entfernt kam er breitbeinig zum Stehen. »Freust du dich gar nicht über meinen Besuch?«, fragte er gespielt verwundert, um sie darauf – entgegen seiner sanft klingenden Worte – grob an den Armen hochzuziehen. »Mir ist zu Ohren gekommen, dass du dich nicht an unsere Abmachung hältst«, fuhr er in scharfem Ton fort. »Was hast du zu deiner Verteidigung vorzubringen?«
Hazechas Blick glitt über das Kräuterbeet zu ihren Füßen.
»Sieh mich an, wenn ich mit dir rede!«, drohte er und schüttelte sie. »Bruder und Schwester halten sich an Abmachungen. Wir gehören doch zusammen. Möchtest du das Band der Familie durch deine Unehrlichkeit zertrennen?«
Hazecha schaute den Bruder an. Der Form und der Farbe nach glichen seine Augen denen Utas, doch ihrem Ausdruck nach konnten sie unterschiedlicher nicht sein.
»Wo ist die Mutter?«, drängte Esiko und rüttelte erneut ihren schmächtigen Körper, ohne dass sich Hazecha in irgendeiner Form dagegen wehrte. »Ich weiß, dass ihr beide in Ballenstedt gewesen seid!«
Wir sind die Töchter der Hidda von der Lausitz!, drang Utas Stimme an Hazechas Ohr. »Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, entgegnete sie so bestimmt, wie es ihr nur möglich war, und doch bebte ihre Stimme.
Fest entschlossen, ihm nichts zu verraten, befreite sie sich aus seinem Griff und kniete wieder vor dem Kräuterbeet nieder.
»Ich benötige reichlich Andorn für Schwester Hiltruds Trank«, murmelte sie und zupfte klopfenden Herzens erneut Unkraut aus.
Irritiert trat Esiko hinter die Schwester. »Was sagst du da?«
»Zwei Blätter Andorn«, wiederholte Hazecha und spürte ihre Hände zittern.
»Ich rede mit dir!«, stieß Esiko empört hervor. Und als die Schwester sich darauf immer noch nicht rührte, zog er ihr wütend den Schleier vom Kopf.
Hazecha zuckte zusammen, zeigte aber keinerlei Reaktion, was Esiko nur noch mehr aufbrachte. »Was hattet ihr in Ballenstedt zu suchen? Das wart doch ihr, du und Uta!«
»Salbei habe ich noch genug«, fuhr Hazecha fort und legte unbeeindruckt von den Haarsträhnen, die ihr nun ins Gesicht fielen, zwei Blätter Andorn ordentlich in eine Schale. »Schwester Luisa hat ebenfalls Schmerzen in der Brust. Auch ihr wird das Kraut helfen.« Ohne den Bruder weiter zu beachten, pflückte Hazecha mutig weiter.
»Sieh an, sieh an«, höhnte Esiko und entschied sich dafür, seine Strategie zu ändern. »Mein Hazechalein will nun auch noch die Sünde des Ungehorsams auf sich laden!«
Das Zittern ihrer Hände war inzwischen auf ihren ganzen Körper übergegangen. In einem lautlosen, hastigen Gebet bat Hazecha um Widerstandskraft.
Esiko drehte sich um, um zu sehen, ob die beiden Sanctimonialen, die in einiger Entfernung mit Glöckchen in den Händen die letzten Strahlen der Herbstsonne genossen, nicht schon auf ihn aufmerksam geworden waren. Dann beugte er sich im Schutze des dicken Haselnussbaumes zu Hazecha hinab und zog sie an den Haaren zu sich heran. »Du wirst Uta immer ähnlicher!«
Hazecha ließ es geschehen, nicht einmal der Schmerz entlockte ihr einen Laut.
»Zum Glück braucht
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