Die Herrin der Kathedrale
bewerkstelligen konnte. Sie wollte Reiter aussenden und auf allen Marktplätzen im Reich werben. Zudem musste Hermanns Planung fortgeschrieben und mussten die Materialbestände überprüft und angeglichen werden. Sie faltete die Hände zum Gebet: »Hazecha, kleine Lilie, begleite mich auf unserem gemeinsamen Weg. Wir werden der Mutter Gerechtigkeit verschaffen!«
Nach dem Hoftag in Merseburg hatte sich die Kunde des wiederaufgenommenen Kirchenbaus rasch im Reich herumgesprochen. Nicht zuletzt auch dank des Werbens des Magdeburger Erzbischofs. Ein Großteil der nach dem Brand entlassenen Handwerker war inzwischen bereits wieder auf die Baustelle nach Naumburg zurückgekehrt, obwohl andere Baustellen ebenso um erfahrene Handwerker geworben hatten. Es waren sogar einige Kämpfer gekommen, die den Bau mit ihrer Hände Arbeit unterstützen wollten.
Die Strahlen der Sonne vermochten noch nicht recht zu wärmen, brachten die Knospen an den Bäumen aber dennoch zum Aufblühen. Geselle Matthias griff nach einigen zusammengerollten Pergamenten und ging damit auf Uta zu, die mit Maurermeister Joachim, dem Steinmetzmeister und einigen anderen Handwerkern beisammen stand.
»Gräfin«, sagte er mit einer Verbeugung und lächelte, »Ihr hattet sie vor der Hütte vergessen.« Er deutete zu der Stelle, an welcher Uta am Morgen noch mit Schmied Werner die Werkzeuge geprüft hatte, die für die Einpassung der Wasserableitungen am Ostchor benötigt wurden.
»Hab Dank, Matthias. Ich werde sie wohl demnächst an meinen Gürtel klemmen müssen, damit ich sie nicht immer wieder liegenlasse.« Sie begann, das Pergament zu entrollen, auf dem sie festgehalten hatte, wann die einzelnen Arbeitsschritte aller drei Bauabschnitte abgeschlossen werden mussten, um die Kathedrale in den kommenden vier Jahren fertigzustellen.
»Lasst mich Euch helfen«, bot Falk von Xanten an, der wie aus dem Nichts auf einmal neben ihr aufgetaucht war, so dass sie verdutzt aufschaute. Der Mann mit dem glatten braunen Haar und dem freundlichen Gesichtsausdruck hatte bisher kaum über seine Arbeit gesprochen. Uta war sich jedoch sicher, dass er sehr viele Steinbauten errichtet haben musste. Denn seit seinem ersten Tag in Naumburg war er unentwegt auf der Baustelle im Einsatz und hatte zügig gelernt, die Bauzeichnungen zu deuten. Ihre erste gemeinsame Baubegehung hatte sie in den von Asche gereinigten Ostchor geführt. Uta war zuversichtlich, ihm die Überwachung der Bauten aus dem dritten Bauabschnitt bald übertragen zu können. Damit bliebe ihr mehr Zeit für die Planung und Erstellung der Zeichnungen.
Falk von Xanten nahm das Pergament aus Utas Händen, entrollte es so weit wie möglich und hielt es schließlich vor sie hin.
»Danke, Meister«, sagte Uta und nahm sich gleichzeitig vor, zukünftig besser auf die Pergamente achtzugeben. Erst neulich waren einige davon verschwunden und im Gewimmel auf der Baustelle nicht wieder auffindbar gewesen.
Falk von Xanten erwiderte die Höflichkeit der Burgherrin mit einem Lächeln und legte dabei zwei makellose, strahlend weiße Zahnreihen frei. Uta konzentrierte sich auf die vielen Zahlen und Hinweise auf dem Pergament und hörte dabei die Stimme Meister Tassilos wieder in ihrem Kopf. Ich habe Erfahrung mit Bauplänen, ihre Verwendung in dem von uns geplanten Ausmaß ist zwar nicht sehr verbreitet, aber sie vermindern Transport- und Ressourcenknappheiten und erlauben uns somit Engpässen vorzubeugen. An den Bauplänen wollte sie auf jeden Fall festhalten. »Wir müssen uns mit dem Dach des Querhauses beeilen«, erklärte sie und blickte zu den Bindern hinauf, die noch im vergangenen Jahr aufgestellt worden waren.
Falk von Xanten studierte das Pergament. »Wie kommt Ihr mit den Rundbögen für die oberen Fenster im Langhaus voran?«, fragte er dann Maurermeister Joachim.
»Wir müssen jeden Stein keilförmig behauen, das ist sehr aufwendig«, erklärte ihm der Steinmetzmeister, woraufhin der Maurermeister bestätigend nickte. »Zusätzlich kommen pro Bogen noch zwei besonders gearbeitete Abschlusssteine hinzu.«
Uta seufzte stumm und erinnerte sich an die wenig schmeichelhaften Worte des Mainzer Erzbischofs: Versagt sie, wird der Bischofssitz wieder zurück nach Zeitz verlegt. Dort steht bereits ein Gotteshaus, das sich als würdig erwiesen hat. Wie gern hätte sie jetzt Hermann und Meister Tassilo an ihrer Seite gehabt. Die hätten sofort gewusst, wie die Arbeiten beschleunigt werden konnten, was nach der langen
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