Die Herrin der Kathedrale
sich vor dem Kaiserpaar. Dann fuhr er den Rand des Schreins mit den Fingern ab, prüfte die Schlösser und die schmiedeeiserne Umfassung. »Ich kann keinerlei Zeichen einer gewaltvollen Öffnung feststellen, Kaiserliche Hoheiten«, verkündete er das Ergebnis seiner Begutachtung. Daraufhin wandte sich Aribo von Mainz den Kämpfern zu.
»Das ist ein Zeichen Gottes an Euch!«
Sofort machten die Kämpfer das Kreuzzeichen. Niemand wagte zu sprechen, stumme Beklemmung lähmte sie.
Da nickte Esiko von Ballenstedt der Äbtissin des Moritzklosters zu und erhob erneut das Wort. »Ich kann Euch sagen, warum der Schleier nicht mehr hier weilt. Gott hat ihn uns entzogen, und ich weiß auch, warum der Allmächtige dieser Kathedrale seinen Schutz verwehrt.«
»Dann tragt uns den Grund vor, Graf!«, forderte der Kaiser, während Erzbischof Humfried Esikos Auftritt ungläubig verfolgte. Falk von Xanten hingegen schob sich die Ärmel seines Gewandes gelassen über die Ellbogen.
»Hoheit, Ihr habt eine Sünderin damit beauftragt, Eure Kathedrale fertigzustellen!«, erklärte Esiko. »Und den Bau einer Sünderin beschützt Gott nicht!«
»Wer hat gesündigt, Graf?«, wollte der Kaiser wissen.
»Uta von Ballenstedt, Kaiserliche Hoheit!«, erklärte Esiko laut und deutlich, so dass es auch die Kämpfer im Langhaus vernehmen konnten.
Aller Augen waren nun auf Uta gerichtet. Die blickte fassungslos zum Bruder.
»Wie kommt Ihr zu dieser Behauptung, Graf?« Kaiserin Gisela erhob sich.
»Es ist die Wahrheit, Kaiserliche Hoheit. Die Äbtissin des Moritzklosters wird den Beweis für meine Worte erbringen.« Uta beobachtete, wie Notburga von Hildesheim mit einem Leinentuch in der Hand die Treppen hinauf zum Ostchor schritt und sie mit einem überlegenen Blick bedachte, bevor sie sich ehrerbietig zuerst vor dem Kaiser, dann vor der Kaiserin verneigte.
»Bitte Äbtissin, berichtet uns«, forderte der Kaiser sie auf.
Notburga wickelte den Stoff auseinander und entnahm ihm eine Schale.
Das ist meine Kräuterschale!, erschrak Uta.
Notburga trat zunächst vor das nördliche, dann vor das südliche Chorgestühl und zeigte die Schale herum. Sie genoss es, dass die Blicke aller auf sie gerichtet waren. Dann kam sie vor der sprachlosen Uta zum Stehen, fixierte sie herablassend und trat schließlich wieder vor das Kaiserpaar. »Kaiserliche Hoheiten, in dieser Schale seht Ihr ein gar ungöttliches Kraut, genannt die Herrgottsgnade.«
»Äbtissin Notburga, dann bitte sagt uns«, bat Gisela, »was dieses Kraut mit der Kathedrale zu tun hat.«
»Natürlich.« Notburga richtete sich mit der freien Hand das Haarband. »Die Herrgottsgnade ist ein Kraut, das wider die göttliche Natur wirkt. Es verhindert, dass eine Frau empfangen kann. Man nennt es auch das Witwenkraut. Und sie«, Notburga zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf Uta, »sie hat es all die Jahre genommen, um Graf Ekkehard einen Erben vorzuenthalten!«
Die Aufmerksamkeit der Weihebesucher konzentrierte sich nun schlagartig auf Uta.
»Ist das wahr?« Empört richtete Ekkehard den Blick auf Uta, die verneinend den Kopf schüttelte. »Nie… nie… niemals wollte ich Euch einen Erben vorenthalten.«
Esiko lächelte, als er Uta stottern hörte.
»Du streitest ab, dieses Kraut genommen zu haben?«, fragte er.
»Nein, das bestreite ich nicht«, entgegnete Uta leiser, worauf allgemein Gemurmel einsetzte.
»Ihr habt was, Gattin?«, fuhr Ekkehard ungehalten fort und griff nach Utas Arm. »Ich hatte Euch vertraut!«
»Aber ich habe das Kraut nicht genommen, um eine Schwangerschaft zu verhindern«, sagte sie mit zitternder Stimme.
»Alles Lüge!«, spie Esiko aus.
Da löste sich eine Benediktinerin aus dem Chor vor der Altarwand.
»Schwester!«, zischte Notburga und schickte ein beruhigendes Lächeln in Richtung des Kaiserpaares. »Ich hatte Euch nicht rufen lassen. Verschwindet!«
Doch ungeachtet dieser Aufforderung trat die Benediktinerin an ihrer Äbtissin vorbei vor den Kaiser. »Ich bin Schwester Margit von der Krankenstation des Moritzklosters, Eure Kaiserlichen Hoheiten. Es geht um die Klärung eines heilkundigen Sachverhalts, genauer gesagt, um Kräuter, die ich ausgegeben habe.«
»Wir haben den Sachverhalt längst geklärt«, wandte Esiko ein. »Ihr dürft gehen, Schwester!«
»Sie soll bleiben!«, ordnete Gisela an und trat vor Margit. Sie kannte die aufopferungsvolle Schwester vom Polenfeldzug.
»Was habt Ihr uns zu sagen, Schwester?«
»Aber sie ist nur …«,
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