Die Herrin der Kathedrale
hatte recht«, flüsterte Uta. Er hatte sich verändert!
Traurig senkte sie den Kopf.
»Schwesterlein!« Mit dem Zeigefinger hob Esiko ihr Kinn an.
Vom Schmerz überwältigt ließ sie es geschehen.
»Schade, dass du immer noch nicht gelernt hast, dich zu unterwerfen«, erklärte er, sein Gesicht ganz nah vor dem ihren. Dann ging er ohne ein Wort des Abschieds aus der Kammer.
Uta blickte auf den Armreif am Boden und hob ihn auf. Was würde Königin Gisela wohl tun, wenn ihr die Unterstützung für Gerechtigkeit versagt würde? Sie würde ihr Anliegen weiterhin ruhig vortragen, schlussfolgerte sie. Und sie würde sich andere Verbündete suchen! Entschlossen streifte Uta sich den Armreif über das Handgelenk und ging in die Pergamentenkammer. Dort tauchte sie den Federkiel ins Tintenfass und schrieb mit unruhiger Hand:
Schwesterliche Liebe und Gottes Bestand für diejenige, die ich täglich in meine Gebete einschließe – meine kleine Schwester in der Ferne.
Ich schreibe dir, weil ich wissen möchte, wie es zwischen dir und mir bestellt ist. Bist du mir noch in schwesterlicher Liebe verbunden?
Du schriebst mir zuletzt begeistert von deiner Arbeit als Krankenschwester im Kloster, so dass ich gar meinte, du hättest deine wahre Bestimmung gefunden. Sicherlich ist unsere liebe Schwester Alwine stolz auf dich. Wie kommst du mit den Studien über die Funktion der Gelenke voran? Diesem Schreiben lege ich dir einen weiteren Teil meiner Abschrift von Von der Materie der Medizin bei.
Liebe Hazecha, schreib mir doch, ob du inzwischen unseren älteren Bruder Esiko wiedergesehen hast. Ich möchte so gerne wissen, was in ihn gefahren ist. Am heutigen Tag habe ich ihn nach sieben Jahren wiedergetroffen, und wir sind gar heftig in ein Wortgefecht über das Handeln unseres Vaters geraten, der unserer Mutter in einem schwachen Moment den Lebensatem genommen hat – wie sehr ich ihn dafür verachte. Auch deswegen schreibe ich dir – ich möchte erfahren, was du darüber denkst, dass ich beabsichtige, eines Tages zu unserem Vater zu reiten und ihm seine Verfehlungen aufzuzeigen. Ich will ihm vor Augen führen, dass ich ihn und seine Taten nicht vergessen habe und niemals vergessen werde. Außerdem würde ich Ballenstedt nach so vielen Jahren gerne wiedersehen. Ich träume davon, dass der Herrgott dich von deinem Gelübde nur für wenige Tage entbindet und wir uns endlich wiederbegegnen. Stell dir vor, wie wir zusammen die Heimat erleben könnten, so ungezwungen wie zuletzt in Kindertagen, als der Vater das Jahr über auf dem Schlachtfeld weilte. Kannst du die Sprache der Pferde noch?
Ich habe dich in meinem letzten Brief gar nicht nach unserem Bruder Wigbert gefragt. Hat der Vater ihn zum Kämpfer ausbilden lassen? Wie schön wäre es, wenn wir ihn bei unserem gemeinsamen Besuch in Ballenstedt in die Arme schließen könnten.
Liebe Hazecha, antworte mir, sobald deine Pflichten es dir erlauben.
Gegeben im Speyergau zwei Tage nach dem Fest Maria Himmelfahrt, im Jahre 1025 nach des Wortes Fleischwerdung.
Deine Uta
Uta legte den Federkiel beiseite und faltete das Pergament.
»Ich werde den Muttertod auch ohne dich sühnen«, sagte sie.
»In meiner Welt gelten andere Regeln als in deiner, Esiko von Ballenstedt!«
Und eben diese Regeln war sie nicht bereit aufzugeben.
Am folgenden Tag erhielt die Königin von ihrem Gatten ein Schreiben mit der Aufforderung, mit ihrem Hofstaat zum Italienfeldzug aufzubrechen. Noch vor Wintereinbruch wollten sie bis zu den Füßen der Alpen gelangen, um diese dann gleich nach der Schneeschmelze zu überqueren. Konrad empfing seine Frau und deren Hofstaat in der Aachener Pfalz. Die Königin hatte ihre ältere Tochter Beatrix für die Dauer des Feldzuges dem Quedlinburger Kloster übergeben. Die wenige Mondumläufe alte Tochter Mathilde war mit der Amme auf der Burg zurückgeblieben, und der Thronfolger Heinrich war in die Obhut des Bischofs Bruno von Augsburg gegeben worden. Ohne zu übernachten, zog der Tross sogleich von Aachen über Trier weiter in den Südwesten des Reiches.
Und nur wenige Tage nach Maria Lichtmess, das Land versank im Schneematsch und Dreck, sammelte König Konrad auf den Feldern bei Augsburg zehntausend mit Waffen gerüstete Männer zu Pferd und zu Fuß, die bereit waren zu kämpfen. Das Heer, das den Königszug von nun an begleitete, war in Utas Augen zu einem glitzernden Echsentier geworden. Kaum eines der Gesichter, in das sie blickte, begegnete ihr ein zweites Mal.
Weitere Kostenlose Bücher