Die Herrin der Kelten
Kopfwunde. Bán hatte tagelang völlig verstört im Kielraum gekauert und sie angefleht, ihn in Ruhe zu lassen, und hatte so die Chance verpasst, Amminios zu töten, als dies vielleicht noch möglich gewesen wäre. Andere Halluzinationen, noch lebhafter und schmerzlicher, waren auf die ersten Auspeitschungen der Sklaverei gefolgt und auf das Brandzeichen, das sie ihm nach seinem ersten Fluchtversuch in den Oberarm eingebrannt hatten. Wenige Tage nach diesem Vorfall hatte sich die Wunde entzündet, und das Fleisch darum herum hatte sich zersetzt, um ein fauliges, übel riechendes Geschwür zu hinterlassen; und Bán war überzeugt, dass sein Wunsch zu sterben aller Wahrscheinlichkeit nach in Erfüllung gegangen wäre, hätte Iccius sich nicht zum Preis von einer Heilsalbe und Arzneikräutern für einen Breiumschlag an einen der Pferdeknechte verkauft, und hätte er nicht weitere Prügel riskiert, um seinen Freund zu pflegen, bis dieser wieder bei geistiger und körperlicher Gesundheit war.
Das war ein Fehler gewesen. Amminios mochte vielleicht um die Tiefe der Zuneigung gewusst haben, die Bán mit Iccius verband, doch Braxus, der thrakische Sklavenaufseher, hatte bis zu jenem Moment noch nichts davon gewusst. Dem Gesetz nach gehörten sie zwar Amminios, der sie sich als Spielzeug zu seinem Vergnügen hielt, als seinen täglichen lebenden Beweis dafür, dass er in dem wichtigeren Spiel des Kriegertanzes nicht verloren hatte; aber Braxus war derjenige, dem sie wirklich auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert waren und der über die Dauer ihres Lebens bestimmte. Der Aufseher war ein harter Mann, der Schmerz und Strafe genauso dosierte, wie er die Gerstenschleimsuppe abmaß, mit der er seine Untergebenen verköstigte - sorgfältig und mit Vorbedacht. Er hatte Bán in der Zeit, nachdem seine Brandwunde geheilt war, gut zu durchschauen gelernt. Als der junge Krieger ein zweites Mal zu fliehen versucht hatte, war es Iccius, der zur Strafe dafür gebrandmarkt worden war, obwohl er mit einem der Männer zusammen gewesen war und daher unmöglich an dem Fluchtversuch hatte beteiligt sein können. Diesmal waren sie vorsichtiger mit dem Brandeisen umgegangen, so dass der Buchstabe deutlich hervortrat: das »A« von Amminios, für alle Zeit in das magere Fleisch am Oberarm des Jungen eingeprägt.
Nach Báns drittem Fluchtversuch war Iccius unheilbar verstümmelt worden, und Braxus hatte Bán gezwungen, dabei zuzuschauen. Zwei Männer, die sich auf die Kastrierung von Bullen und Hengsten verstanden, hatten geschärfte Messer und erhitzte Metallplatten mitgebracht sowie drei andere Sklaven, auf ähnliche Weise entmannt, die den Jungen festhalten mussten. Braxus selbst hatte Bán festgehalten und ihm dabei all die Dinge ins Ohr geflüstert, die sie als Nächstes tun würden, wenn Bán ihm nur die Gelegenheit und den Vorwand dazu lieferte.
Seitdem hatte es keine Fluchtversuche mehr gegeben. Seit gut zwei Jahren verbrachte Bán seine Tage damit, Befehle von Männern auszuführen, die er verabscheute, und seine Nächte, allein in der Dunkelheit zu liegen und ein Verlangen nach Rache zu nähren, das das verzweifelte Bedürfnis zu sterben in Schach hielt.
Die Visionen kamen und gingen, und er beobachtete sie mit nur geringem Interesse, während er gegen seine Müdigkeit ankämpfte. In dieser Nacht würde es keinen Schlaf für ihn geben. Iccius war wieder einmal zu Braxus befohlen worden, und er war noch nicht wieder zurückgekehrt. Der Junge hatte ihn nie um irgendetwas gebeten, doch Bán hatte es sich seit jenem ersten Mal, als er begriffen hatte, was da vor sich ging, zur Pflicht gemacht, dass er sich jedes Mal, wenn diese Aufforderungen kamen, die ganze Nacht über wach halten würde, wenn nötig auch bis zum Morgengrauen, damit Iccius bei seiner Rückkehr Trost und Sicherheit bei ihm finden konnte und eine Umarmung, die nicht mit Schmerz verbunden war.
Irgendwo in der Ferne ertönte ein Horn; die Nachtwache der Legion, die außerhalb der Stadtmauern auf der Stelle trat. Durocortorum war keine Legionsstadt, aber sie diente als Quartier für durchreisende Sonderkommandos und Abordnungen. Im Sommer strömten die Offiziere und Mannschaften zu Tausenden durch die Stadt; um Handel zu treiben, um Übungsmanöver abzuhalten und um dann anschließend weiter nach Osten zur germanischen Grenze zu marschieren oder in nördlicher Richtung zur Küste. Jetzt, wo der Herbst vor der Tür stand, kamen nur noch wenige Truppeneinheiten; vor zwei Tagen war
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