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Die Herrin der Kelten

Die Herrin der Kelten

Titel: Die Herrin der Kelten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manda Scott
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eine einzelne Abordnung eingetroffen, bestehend aus einem Offizier und ein paar Dutzend Kavalleristen, die es jedoch vorgezogen hatten, ihre Zelte außerhalb der Stadtmauern aufzustellen, statt sich in der Stadt einzuquartieren. Es ging das Gerücht um, dass sie wegen des Pferdemarktes gekommen seien und Gold in Hülle und Fülle zum Ausgeben hätten. Andere wiederum munkelten, dass der Kaiser Gajus Julius Cäsar Germanicus, seinen Männern als Caligula bekannt, im Frühjahr zu einem Besuch in die Stadt kommen sollte und die Truppen die ersten Vorbereitungen organisierten.
    Iccius hatte von Braxus gehört, wie es sich wirklich verhielt: nämlich dass Gajus fest entschlossen war, die freien Stämme zu unterwerfen, die das Ostufer des Rheins besetzt hielten, und dass er einheimische gallische Stammesangehörige rekrutierte, die als Kundschafter und Abschirmtruppen dienen sollten. Das war wesentlich glaubwürdiger. Es war allgemein bekannt, dass Caligula lieber jeden gesunden, diensttauglichen Gallier opfern würde, als auch nur einen einzigen weiteren Römer an die Stämme zu verlieren, die bereits die drei Legionen ausgelöscht hatten, die sein hoch geschätzter Amtsvorgänger Augustus entsandt hatte.
    Bán lächelte in der Dunkelheit. Er hatte schon viel über die Stämme vom östlichen Rhein und über ihre Wildheit im Kampf gehört. Er drehte sich wieder zu der verputzten Wand um, wo die Geister lautstark nach seiner Aufmerksamkeit verlangten. Als er sie ihnen endlich schenkte, ritten sie auf den Wellen seiner Gedanken und beschworen ein Bild vor seinem inneren Auge herauf. Die Gestalten, die auf ihn einstürmten, wurden zu riesigen blondmähnigen Kriegern, bewehrt mit mächtigen Schwertern, die ein Pferd in zwei Hälften zerspalten konnten und seinen Reiter gleich mit dazu. Er sah im Geist vor sich, wie ein Dutzend dieser Krieger über einen einzelnen Mann herfiel, wie sie ihm den Leib aufschlitzten, die Eingeweide herausschnitten und ihn dann zurückließen, um ihn eines qualvollen Todes sterben zu lassen, umschwirrt von Krähen, die ihm zuerst die Augen aushackten und als Letztes sein Herz. Das Gesicht des Mannes veränderte sich, während er im Sterben lag: schmale, wölfisch anmutende Züge verbreiterten sich an den Wangenknochen, und das Kinn wurde kräftiger; eine Hakennase verwandelte sich in eine gebrochene, leicht schiefe Nase; rotes Haar wurde schlammbraun und kräuselte sich zu Locken. Mit dem letzten Atemzug seines Lebens verdunkelten sich die bernsteingelben Augen zu einem Eichenbraun, und Amminios, Sohn des Sonnenhunds, verwandelte sich voll und ganz in Braxus von Thrakien, Aufseher und Sklave.
    In der Ferne erschallte wieder das Horn: eine andere Patrouille, die die Morgenwache übernommen hatte. Bald danach begannen die Hähne zu krähen. Bán rollte sich auf seiner Pritsche herum, um zu beobachten, wie der neue Tag heraufdämmerte. Ein schmaler Streifen matten Lichts, der unter der Tür hindurchschimmerte, wurde allmählich heller. Die Dunkelheit im Raum wich einem milchigen Grau, und an einer Ecke der Decke wurde die Stelle sichtbar, wo eine Hand voll Dachziegel herausgeschlagen und noch nicht wieder ersetzt worden war. Eine Amsel erwachte und schimpfte in demselben schrillen Ton, mit dem ihre Vettern und Cousinen in den Wäldern der Eceni geschimpft hatten. Irgendwo jenseits der Mauern der Villa rief ein Fohlen seiner Mutter eine Begrüßung zu in der Universalsprache aller Tierjungen dieser Welt, und plötzlich war der Morgen von schmerzlichen, niederdrückenden Erinnerungen an zu Hause erfüllt. Es war fast jeden Tag das Gleiche; wenn Bán weinen würde, dann in einem Moment wie diesem. Er starrte mit weit aufgerissenen Augen zu der Lücke in der Decke hinauf und zwang sich, auf die Geräusche zu horchen und seine Gefühle zu verdrängen.
    Plötzlich und ohne Vorwarnung schwang die Tür auf. Iccius stand auf der Schwelle, eine schmale Gestalt in einem Leinenhemd, aus dem er noch immer nicht herausgewachsen war. In den Monaten bevor sie ihn entmannt hatten, war er ziemlich schnell gewachsen, doch seitdem war er nur noch eine knappe Handbreit größer geworden.
    »Iccius.« Bán flüsterte seinen Namen, um die anderen im Raum nicht zu wecken. Er setzte sich auf und streckte die Arme nach ihm aus. Der Junge bewegte sich auf ihn zu, als ob er im Schlaf wandelte, seine Augen starr und blicklos, seine Arme steif und gerade an den Seiten herabhängend. Zu Anfang war er jedes Mal so apathisch und

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