Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Täufer, und doch war aus dem Jungen, der sie verlassen hatte, ein Mann geworden. Sie blickte eine Weile in seine unbewegte Miene, bevor sie seine Begrüßung erwiderte.
»Das letzte Mal, als wir uns sahen«, begann sie mit brüchiger Stimme, »war es Weihnachten, und du hast mir einen siebenjährigen Kuraufenthalt geschenkt. Ich hoffe, du bist nicht nur gekommen, um mir frohe Ostern zu wünschen?«
»Ich . . .« Alberic bemühte sich sichtbar um Worte, doch irgendetwas schien ihn daran zu hindern, sie zu finden. Schließlich sagte er, wesentlich befreiter: »Eudoxia wird in der nächsten Woche nach Byzanz aufbrechen.«
Sie machte, ohne aufzustehen, eine leichte Verbeugung und wandte ihrem Sohn wieder den Rücken zu. Ihre Stimme war wieder fest, als sie antwortete. »Dann wünsche ich ihr von ganzem Herzen eine gute Reise und ein gesegnetes Eheleben.«
»Du hast sie lange nicht gesehen.«
»Verzeihung«, spöttelte Marocia. »Ich war verhindert, weil jemand den Schlüssel zum Tor weggeworfen hat. Und Eudoxia scheint sich auf dem Weg hierher verlaufen zu haben – sie ist nie gekommen.« Ein plötzlich aufwallender Stolz in ihr trieb sie dazu, anders zu reden, als sie dachte. Am liebsten wäre sie Alberic um den Hals gefallen, aber das wäre wie eine Geste der Unterwerfung erschienen und kam für sie nicht in Frage. All die stillen Jahre in der Gefangenschaft, in denen sie dachte, sich geändert zu haben, weiser geworden zu sein, waren nur Trug. Sie verspürte zwar keinen Zorn in sich, aber eine Lust, ihrer Verbitterung Luft zu machen. Nein, sie konnte nicht vergessen, was sie erlebt hatte und dass Alberic seinen Anteil daran trug.
Sie hörte, wie Alberic auf sie zuging, bis er dicht hinter ihr stand, und fühlte seinen Blick auf ihrer Kopfhaube ruhen.
»Du hast dich verändert«, stellte er fest.
Sie sah zu ihm hoch und lächelte übertrieben. »Das ist das Liebste, was du einer Mutter kurz nach ihrem fünfzigsten Wiegenfest sagen kannst, mein Engel.«
Mit einem Mal begann er, ruhelos auf und ab zu laufen. »Was willst du?«, fragte er gereizt. »Dass ich vor dir auf Knien rutsche, dir Opfer darbringe, mich geißeln lasse, weil ich damals zu weit gegangen bin?«
Sie folgte seinem Gang mit aufmerksamen Augen von rechts nach links, wieder zurück und so fort. »Vor einigen Jahren noch hätte dieses Angebot mich verlockt, mein Engel, aber ich bin jetzt viel genügsamer, als ich früher war, weißt du? Verschone mich also mit Erklärungen für deine Taten, denn die einzige Erklärung ist immer die menschliche Natur selbst. Und die zu verstehen hat nicht mal Jesus geschafft, sonst wären seine letzten Worte am Kreuze aufschlussreicher gewesen: Denn sie wissen nicht, was sie tun.«
»Du bist zynisch – und blasphemisch.«
Sie nickte. »Ich habe Leichen vor Gericht gesehen, Kardinäle, die in Beichtstühlen mit Dolchen herumfuchteln, Menschen, deren Gesichter von Gift verzerrt wurden, Ehemänner, die ihre Frauen würgen, und zu guter Letzt Söhne, die ihre Mütter einsperren. Außerdem bin ich älter als der jetzige Papst. Verzeih bitte, aber das alles hat mich ein wenig irritiert.«
Alberic war erbost. Ihr Sarkasmus, ihr Humor, ihre leichtfertige Art zu reden kamen ihm ungeheuerlich vor, als eine Beleidigung Gottes und eine Verspottung seiner Würde. Die Frau vor ihm, meinte er, hätte ihm nicht fremder sein können als eine muselmanische Nomadin. Vielleicht war es übertrieben gewesen, sie wie eine Verbrecherin zu behandeln, und Alda hatte ihm diesbezüglich die Augen geöffnet, aber ebenso wenig konnte er sie wie eine Mutter behandeln. Er schritt an ihr vorbei zum Ausgang der Grabkammer.
»Du bist frei«, sagte er. »Du kannst tun, was dir beliebt, bloß. . .«, er stockte. »Nachdem wir Eudoxia verabschiedet haben, will ich, dass du mir aus dem Wege gehst. Komm nicht in mein Haus, sei immer dort, wo ich nicht bin.«
Nur einen Atemzug lang trafen sich ihre Blicke, aber dieser Moment bohrte sich wie ein Pfeil in Marocias Brust. Zögerlich nickte sie, sah mit zitterndem Kopf ihrem Sohn nach, bis die Dunkelheit ihn verschluckt hatte. »Wir machen etwas falsch«, flüsterte sie. »Irgendetwas machen wir falsch.«
Siebter Teil
Der Himmel aus Asche
Die Nacht zum 26. Dezember,
Anno Domini 963
Cecile lag mit geschlossenen Augen und eingehüllt in eine wärmende Decke auf dem Diwan, Paulina war auf einer Liegebank eingeschlafen. Das Holz in den Kaminen glomm nur noch schwach vor sich hin, und auch die
Weitere Kostenlose Bücher