Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
vollem Saft. Und Berengar von Ivrea? Der Enkel des alten Königs Berengar war wohl so töricht gewesen, sein sicheres Exil zugunsten eines waghalsigen Kampfes zu verlassen, aber fast jeder hatte aus der Zeit seiner Vertreibung vor bald zwei Jahrzehnten noch in Erinnerung, dass Mut und Geschick noch nie die Stärke des dicken Markgrafen gewesen waren.
Nur Hugos Sohn Lothar störte diesen Konsens unter den kampferprobten Männern. »Wenn er ein solcher Feigling und Narr ist, warum sollte er dann seinen alten Adel in einen von vorneherein verlorenen Aufstand hetzen?«
Den Männern gefror das Lachen. Sie waren es von Lothar gewöhnt, oberschlaue Bemerkungen zu hören, die ihnen den Spaß verdarben. Wie immer sahen sie zu Boden und räusperten sich, denn jedem war klar, wie Hugo auf diesen Einwurf reagieren würde. Warum konnte dieser Königssohn mit Kaufmannsseele auch nicht einfach sein Mundwerk halten?
Hugo stapfte mit seiner schweren, klirrenden Eisenkleidung zum Verhang des Zeltes, in dem die Versammlung stattfand, und riss ihn auf. »Siehst du das?«, fragte er seinen Sohn. Als Lothar nicht sofort reagierte, packte er ihn an den Haaren und stopfte den Kopf durch die Zeltöffnung. »Ob du das siehst?«
Es war nicht zu übersehen. Dicht an dicht ragten quadratische Zelte in die Höhe, mit Schwertständern davor und Schildhaltern. Die Soldaten übten. Die gesamte Ebene war erfüllt von eisernem Waffengeklirr und dem Surren der Pfeile. Schmiede schlugen auf ihre Ambosse ein, Sattler auf die Pferde, und gelegentlich drang das ordinäre Lachen einer jener Huren heran, die alle Feldzüge Hugos begleiteten. Lothar war mit diesen Geräuschen aufgewachsen, aber sie waren ihm verhasst.
»Ja«, antwortete er.
»Was siehst du?«
»Ein Heer.«
»Wie stark ist es?«
»Fünfzehnhundert Mann.«
»Fünfzehnhundert waren es vorgestern. Wie viele sind es heute?«
»Ich weiß nicht«, gestand Lothar mit schmerzhaftem Unterton, denn sein Vater riss ihn immer stärker an den Haaren.
»Wie viele?«, schrie Hugo.
»Ich müsste raten.«
»Dann rate, zum Teufel.«
»Achtzehnhundert.«
Hugo riss Lothar an den Haaren herum und warf ihn mit einem einzigen Armschwung auf den Boden des Zeltes. »Zweitausend!«, schrie er. »Und in den nächsten drei Tagen erwarte ich die Verstärkung meines Bruders Boso, noch einmal eintausend Mann. Traust du deinem Vater nicht zu, mit dreitausend Waffenträgern den Aufstand eines friaulischen Eunuchen niederzuschlagen?«
»Doch«, stimmte Lothar rasch zu.
Hugo milderte seine Stimme etwas ab, dafür wurde sie abfällig. »Dann sei froh, dass ich noch lebe, um die Arbeit zu machen. Du würdest es auch mit fünftausend nicht schaffen, denn du bist ein ebensolcher Eunuch wie Berengar.«
»Das ist nicht wahr«, entgegnete Lothar, noch immer am Boden liegend.
Hugo schnitt eine Grimasse. »Das ist nicht wahr«, äffte er mit entstelltem Tonfall seinen Sohn nach. »Wenn es nicht wahr ist, warum kriegst du dann den Schwanz nicht in dein Weib rein?«
Die Offiziere lachten stumm. Manche wandten sich ab, damit man ihre amüsierten Gesichter nicht sehen konnte. Sie gönnten Lothar die Demütigung, aber natürlich wussten sie, dass der Vorwurf ungerecht war. Adelheid, Lothars burgundische Gemahlin, war diesem als Zweijährige aufgezwungen worden. Nun war sie dreizehn, dünn, mit flachen Brüsten, glanzlosem Haar und einem Ausdruck, der irgendwo zwischen Amazone und Märtyrerin lag. Lothar, fanden sie, war wirklich nicht zu beneiden.
Der junge Mann rappelte sich auf und klopfte sorgfältig den Staub von seiner Kleidung. Diese Geste reizte Hugo weiter. Er verpasste Lothar eine Ohrfeige, die seinen Sohn durch das halbe Zelt stolpern ließ. »Du sollst dich nicht immer wie ein verweichlichter Höfling benehmen, sonst . . .«
In diesem Moment kam ein Bote ins Zelt, einer von Hugos Soldaten. Er atmete schwer und war noch erhitzt vom Ritt. Dann fiel er auf die Knie, so als bitte er um Gnade, und rang nach Worten. Offenbar wusste er zunächst nicht, ob er den König in der burgundischen Muttersprache oder wegen der anwesenden italienischen Offiziere in gebrochenem Langobardo-Latein ansprechen sollte. Die Aufregung ließ ihn in ein Kauderwelsch aus beidem fallen: »Euer Gnaden, le roi teutonicum est envahir en L’Haut-Bourgogne, Hochburgund. Besancon und Dole bereits gefallen sind. À l’instant, das feindliches Heer steht an der Rhone.«
Das Wichtigste hatten die Offiziere verstanden. Jedem war klar, dass die
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