Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
lassen. »Sergius«, sagte sie, »ich bezweifle, dass Mutterliebe die Ursache für dieses beabsichtigte Treffen ist: Sie will, dass ich zu ihr komme, in die Villa Sirene.«
»Wo ist das Problem, Marocia?«
»Das Problem ist . . .« Sie unterbrach sich, steckte eine Kirsche in ihren Mund und kaute sie genüsslich. »Das Problem ist, dass ich nicht hingehen werde. Wenn sie mich sprechen will, soll sie
hierher
kommen, in
meine
Gemächer, und dazu brauche ich
deine
Unterstützung.«
Seine Augen hätten nicht weiter aus ihren Höhlen hervortreten können. »Sie
herbeizitieren
?«
Marocia gönnte sich eine weitere Kirsche.
»Warum nicht?«, fragte sie schmunzelnd.
Sergius suchte nach den richtigen Worten. »Es . . . es wird ihr nicht gefallen.«
Hastig spuckte Marocia den Kirschkern in ihre hohle Hand und rief: »Herrgott, Sergius, ist das deine Standardantwort auf alles, was Theodora betrifft?«
»Versteh mich doch bitte. Da du nicht verheiratet bist und auch kein Amt bekleidest, sind deine Eltern dein Vormund, Marocia. Wenn sie dich rufen, kann ich nichts dagegen tun, Papst hin oder her.«
Für diesen Einwand hatte sie eine Erwiderung parat. »Dann gib mir ein Amt. Ernenne mich zur Consilia, zur Beraterin des Heiligen Stuhles.«
»Unmöglich! Diesen Titel hatte erst eine einzige Frau jemals inne, eine greise Märtyrerin, die man posthum . . .«
Marocia zerknüllte den Brief und schleuderte ihn zu Boden. »Es tut mir Leid, dass ich weder achtzig Jahre alt bin noch die Absicht habe, mich von Heiden erschlagen zu lassen.«
»Kein Grund, sich derart aufzuregen. Wieso sträubst du dich bloß so gegen einen Besuch bei deiner Familie?«
»Merkst du denn nicht, was Theodora vorhat? Sie will mich wieder in die Villa holen. Endgültig!« Marocia rannte zu ihrem Bett und warf sich bäuchlings darauf.
Sergius erstarrte. Dann stürzte er zu Marocia, packte sie an den Schultern und drehte sie auf den Rücken. Seine Arme drückten sie fest an sich. »Eher sterbe ich.«
Marocia lächelte über seine Schulter hinweg. »Keine Sorge, das wird nicht geschehen. Überlass das nur mir, Liebster, dann wird alles gut.«
»Noch heute mache ich dich zur Consilia.«
»Ja«, nickte sie und blickte ihn aufmunternd an.
»Wir sollten keine Zeit verschwenden.«
»Von jetzt an werden wir jede Stunde wie eine Kostbarkeit genießen«, sagte sie mit mehrdeutigem Unterton.
Nachdem Sergius gegangen war, um die Dokumente zu verfertigen, blickte sie noch eine Weile auf den seidigen Stoff, der sich wie ein sommerliches Himmelsgewölbe über das Bett erstreckte. Dann erhob sie sich, schritt würdevoll zum Schreibpult und nahm ein Papier aus der Lade. Sie tauchte die Feder in ein Tintenfass und ließ sie wie einen Falken auf Beutesuche über dem gräulichen Weiß kreisen. Marocia musste lächeln. Dann schrieb sie:
Mutter!
Ich habe Dich nicht in der Villa Sirene zurückgelassen, damit Du Dich dort wie eine Glucke um mich sorgst . . .
Mit jeder Zeile nahm ihr Lächeln zu, hob und senkte sich ihre Brust in immer kürzeren Abständen, schrieb ihre Hand schneller und fischte die andere ganz nebenbei die roten Früchte aus der Schale. Einige Male musste sie sogar kurz auflachen. Erst als der letzte Punkt gemacht war und ihr Name unter dem Brief stand, mischte sich noch ein anderes Gefühl in ihre Freude und Genugtuung, und einen Moment lang starrte sie auf das Papier, als sei es die Büchse der Pandora.
Theodoras Umhang flatterte wie ein Wimpel hinter ihr her, als sie durch die Gänge des Lateran eilte. »Wo ist der Papst?«, rief sie. »Wo ist dieser Verräter?«
Jedem Mönch, den sie traf, stellte sie diese Fragen. Keiner konnte sie beantworten, aber niemand hielt sie auf. Die Wachen nahmen Haltung an, ließen sie jedes Tor und jede Tür ohne weiteres passieren. Sogar die Pforte des päpstlichen Gemachs wurde ihr geöffnet, ohne dass sie ein einziges Wort hätte befehlen müssen. Doch das alles half Theodora nichts. Der Heilige Vater blieb unauffindbar.
»Der Thronsaal«, murmelte sie vor sich hin. »Der Feigling versteckt sich gewiss auf seinem Thron.« Sie fuhr herum, nahm ihren eiligen Schritt wieder auf. »Das wird ihm auch nichts helfen.«
Wie Blitze waren die eintreffenden Nachrichten heute Morgen auf sie niedergefahren. Zuerst dieser Brief ihrer Tochter. Allein die Tatsache, dass man
ihr
, Theodora, der Mutter und Senatrix, einen Wunsch, nein, eine Forderung abschlug, war geradewegs revolutionär. Doch bei aller Erregung darüber:
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