Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
sie an.
Sie keuchte. Mit jedem Zug verstärkte sich ihre Panik, keine Luft mehr zu bekommen. Sie wollte nicht schreien, wollte still sein, wie Johannes es verlangte. Er war zu stark, gegen seine Hände kam sie nicht an. Johannes konnte sie hier und jetzt erwürgen, er konnte sie töten. Und, mein Gott, er konnte ihr Kind töten. Nein, sie musste still sein, ihm zuhören, ihm Recht geben. Wenn sie nur wieder im Lateran wäre, bei Sergius, in Sicherheit, dort konnte sie ihm die Stirn bieten. Du musst ihn jetzt küssen, befahl sie sich. Streichle seine Wangen. Streichle seine gottverdammte Seele mit süßen Worten. Gleite durch sein Haar, streiche ihm die Strähnen aus der Stirn. Das ist nur vernünftig, denn hier kannst du nichts gegen ihn tun. Sage ihm, wie schön sein Gesicht ist, wie sinnlich sein Körper. Lass ihn glauben, dass du von nichts anderem träumst. Halte ihn hin. Versprich ihm alles, und gib ihm später nichts. Du musst dich zusammenreißen. Du musst stark sein, du musst vernünftig sein, du musst . . .«
Wieder schrie sie. Warum nur? Warum?
Johannes zerrte an ihr. Er zischte ihr ins Ohr und presste seine Hand noch fester auf ihren Mund. Gegen ihren Willen sog sie den Duft seiner Haut ein, die nach Wolle roch. Jedes Detail um sie herum prägte sich ihr ein, die kunstvollen Windungen der Holzschnitzerei, die Geschmeidigkeit von Johannes’ Gewand, die Stille des Beichtstuhls. Klarer und eindringlicher hatte sie nie empfunden, alles bekam eine Bedeutung, und sie wusste, dass sie nichts von allem je vergessen könnte. Doch im nächsten Augenblick verschwamm diese Welt vor ihren Augen. Und dann – sie verstand nicht, was mit ihr geschah – krümmte ihr Körper sich vor Schmerz. Sie entglitt Johannes. Weinend sackte sie zu seinen Knien zusammen. Er versuchte, sie aufzurichten, aber ihr ganzes Gewicht trieb nach unten.
»O Gott, mein Kind!«, schrie sie aus Leibeskräften, und der Schrei war laut genug, Johannes zu verunsichern.
»Was ist mit dir?«, hauchte er mit aufgerissenen Augen. »Marocia . . . ich . . . ich war das nicht. Oder ist das . . . womöglich dein Zeichen für mich? Sprich doch! Ist es dein Zeichen der Liebe?«
Sie hörte nichts mehr. Ihre Schreie waren stumm, schrecklicher Schmerz durchzuckte sie. Das Letzte, was sie sah, war Johannes, wie er mit wehendem Gewand aus der Kirche floh. Wenige Augenblicke später spürte sie noch, wie ihr ein Zopf ins Gesicht fiel. Dann wurde die Welt still und dunkel.
Gratian stolperte in Damianes Gemach. Ein einziger Blick genügte ihm, um zu erkennen, dass seine Geliebte nicht hier war. Was, um alles in der Welt, war bloß geschehen? Niemand wusste etwas Genaues. Er hatte seine Brüder befragt, dem Küchengeschwätz zugehört, ja sogar dem
primicerius
eine unauffällige Frage gestellt. Saxo sah zwar sehr zufrieden aus, doch auch er konnte nicht mehr sagen, als dass der Leibarzt des Papstes sich um »die Hure« kümmere.
»Und ihre Zofe?«, fragte Gratian atemlos.
Saxo wusste nichts. Er wandte sich ab und gab, warum auch immer, einem anderen Mönch den Befehl, die Musikanten »der Hure« zusammenzutreiben. Doch das interessierte Gratian nicht. Seine Gedanken kreisten ausschließlich um Damiane. Er rannte zu den Gemächern Marocias, um dort mehr zu erfahren, doch die Wachen ließen ihn nicht eintreten. Immerhin versicherten sie ihm, dass nur eine Frau dort drinnen läge. Gratian suchte alles ab, die Laterankirche, die Speise- und die Wäschekammer, seine eigene Klause und nun auch Damianes kleines Gemach, sämtliche Orte, an denen sie sich geliebt hatten. Nun war er am Ende. Verzweifelt biss er sich auf die Lippen, und seine Schultern zuckten. Er setzte sich auf Damianes Bett und wischte mit dem fleischigen Daumen jede einzelne Träne von Nase und Kinn ab.
Leise wie ein Flügelschlag trat Damiane ein. Gratian bemerkte sie erst, als sie ihm langsam, fast andächtig den Wuschelkopf kraulte. Er sprang auf und schloss sie in seine Arme. Kein Wort kam über seine Lippen. Ein einfaches Holzkreuz in die Hand teilte ihm mit, dass sie irgendwo gebetet hatte, vermutlich draußen in der Natur, wo auch ihre heidnischen Vorfahren früher die Götzen angerufen hatten. Doch das spielte jetzt alles keine Rolle. Sie lebte. Gemeinsam setzten sie sich nieder und hielten einander fest.
»Was haben wir nur angerichtet«, flüsterte sie. »Die Herrin . . .überfallen von einem unbekannten Mann . . . ohnmächtig . . . Sie hat ihr Kind verloren.«
Gratian ließ einige
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