Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich frei fühlte. Allein die selbstständige Entscheidung zu diesem Ausflug getroffen zu haben, machte sie bereits glücklich. Ohne Mutter oder Vater, ohne Amme, ohne Kardinäle, Päpste oder sonstige Aufpasser an der Seite streifte sie durch einen fremden Ort und entdeckte ihn. Beinahe neunzehn Jahre musste sie alt werden, um das zu erleben, und da war es fast nebensächlich, wie dieser Ort hieß. In einem Steinbruch oder einer Getreidemühle hätte sie sich ebenso wohl gefühlt.
»Gehen?«, reagierte sie auf Damianes Wunsch. »Wo wir das Wichtigste noch überhaupt nicht gesehen haben?«
»Aber wo ist der Pater, der uns den heiligen Schatz zeigen könnte? Es ist niemand hier, und das macht mich unruhig.«
»Meine Töchter!«, rief da plötzlich eine Stimme. »Ihr seid zum Beichten gekommen?«
Ein Kirchendiener, ein alter Mönch mit zerzausten Haaren, kam heran. Seine Kutte schlackerte ihm um den hageren Körper. Von seiner Stirn perlten die Schweißtropfen, und sein Ausdruck wechselte zwischen Furchtsamkeit und Fröhlichkeit. Marocia schob dieses verunsicherte Mienenspiel der gleichen Ursache zu wie den unangenehmen Geruch, den er ausdünstete. Er hatte offensichtlich zu viel getrunken. Marocia betrachtete den Pater ohne Verwunderung, denn von manchen Mönchen des Lateran war sie ein solches Verhalten gewohnt. »Nein, Vater«, sagte sie ruhig. »Ich möchte den Kreuznagel berühren. Seine Heiligkeit selbst hat es mir gestattet.«
»Wenn das so ist . . . Es ist Brauch, vorher zu beichten, meine Tochter. Dort drüben siehst du ein Mauerwerk, hinter dem der Pater der Kirche dir deine Sünden abnimmt. Ich selbst werde deiner Begleiterin die Beichte in einem anderen Raum abnehmen.«
Marocia nickte Damiane zu und sah ihr nach, wie sie mit dem Kirchendiener in einem entfernten Winkel verschwand. Dann ging sie zu der Ecke, die für sie selbst bestimmt worden war. Seufzend und auch etwas ungeduldig wegen dieser unerwarteten Verzögerung, blieb sie vor dem mit Malereien verzierten Mauerwerk stehen und betrachtete es wie einen steilen, kräftezehrenden Hügel. Marocia hatte zum letzten Mal bei Pater Bernard gebeichtet. Den Mönchen des Lateran traute sie es zu, ihre Beichte als Klatsch auf der Abendmesse zu verbreiten, und bei Sergius eine Absolution zu holen wäre Marocia geschmacklos vorgekommen: Sie hätte ihm jene »Sünden« beichten müssen, die sie mit ihm selbst beging.
Mit unguten Gefühlen – weil sie nicht wusste, wie aufrichtig sie diesem unbekannten Pater gegenüber sein durfte – lüftete sie das Tuch, das den Durchgang verdeckte, aber noch bevor sie einen weiteren Gedanken fassen konnte, zog jemand sie abrupt hinein. Eine Hand hielt ihr mit enormer Kraft von hinten den Mund zu, ein Arm umklammerte ihren Unterleib. An ihrem Ohr strich ein warmer, schnaubender Atem entlang.
»Endlich«, flüsterte Johannes. »So lange warte ich schon darauf, deine Haut zu spüren. Deine Lippen sind wunderbar weich, weißt du das? Und dein Duft . . . du reibst dich mit Orangenöl ein, nicht wahr?«
Seine Hand ließ ihr kaum Luft zu atmen. »Wie ich dich vermisst habe, meine Liebste. Hunderte von Nächten müssen das gewesen sein, in denen ich dein Gesicht vor mir sah, dein trotziges und unnachgiebiges, aber auch von Liebe erfülltes Gesicht. Wie oft war ich bei Sergius im Lateran, um vielleicht zufällig auf dich zu treffen. Und ebenso oft habe ich wieder gehen müssen, erfüllt vom Hass auf diesen Mann, der alles in Besitz genommen hat, was ich begehre, dich und den Thron. Oh, keine Sorge, ich bin nicht böse auf dich, du kannst ja nichts dafür. Deine Mutter und er halten dich gefangen. Und ich habe dir auch verziehen, dass du Theodora von unserem kleinen Abenteuer in der Kutsche erzählt hast. Du warst durcheinander, das verstehe ich. Alles lässt sich wieder einrenken. Es ist nicht zu spät für uns. Nur ein einziges Zeichen deiner Zuneigung, und ich werde einen Weg für uns finden.«
Verzweifelt versuchte Marocia etwas zu sagen, doch außer einem quietschenden Geräusch brachte sie nichts zustande. Ihr Herz klopfte jetzt bis in den Kopf. Ihre Eingeweide zogen sich zusammen, ihre Beine trugen sie nicht mehr. Sie war nicht fähig, sich zu winden, nicht fähig zu schreien. Keinen Finger konnte sie krümmen. Doch plötzlich, ohne dass sie es beabsichtigt hätte, entrang sich ein gewaltiger Schrei ihrer Kehle, den ihr Peiniger nur halb zurückhalten konnte.
»Sei leise!«, fauchte er
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