Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
verschwunden.
Durch die Finsternis konnte Marocia kaum die Tür von Landos Gemach erkennen, geschweige denn, ob irgendwo in der Nähe eine Wache postiert war. Sie war froh, einen braunen Morgenmantel übergezogen zu haben; so konnte – wenn sie selbst schon nichts sah – wenigstens auch kein anderer sie so leicht sehen. Mit der Faust hielt sie den Saum des Mantels vor ihrer Brust umklammert. Vorsichtig tastete sie sich mit der anderen Hand an der Wand entlang. Gut, dachte sie, dass sie keine Schuhe angezogen hatte. Der Boden war zwar eiskalt, aber dafür waren ihre Schritte kaum hörbar.
Sie wandte sich um. Von ferne, über viele Ecken, hallten die Stimmen von zwei Männern heran, die sich unterhielten, aber sie entfernten sich wieder.
Sacht wie ein Kranich im Sumpf, schlich sie weiter. Vor der Tür angekommen, bog sie den Rücken durch, atmete tief ein und aus. Sie starrte eine Weile den eisernen Türklopfer an. Dann, ganz langsam, griff sie nach ihm.
Er fühlte sich überraschend kalt und rau an, und sie ließ ihn wieder los, obwohl das unsinnig war, da alle Gegenstände zu dieser Jahreszeit unangenehm kalt waren. Jetzt spürte sie auch, wie die Kälte ihre Füße erfasste und bis zu den Knöcheln kroch. Ihre Stirn jedoch glühte, und die Schläfen pochten.
Sie zupfte an ihrer Lippe, wie sie es als Kind manchmal gemacht hatte. Ihre andere Hand presste weiterhin die Säume des Mantels zusammen. Noch einmal ergriff sie den Türklopfer, und zum zweiten Mal gab sie ihn wieder frei. Dann schüttelte sie den Kopf. So, dachte sie, hatte es keinen Sinn.
Sie ging einen großen Schritt rückwärts, fühlte etwas unter ihrem Fuß, und plötzlich knackte es. Noch bevor sie begriff, was geschehen war, öffnete sich die Tür. Der warme Hauch des Gemachs strömte ihr entgegen. Licht überflutete ihr Gesicht. Lando stand vor ihr, in der Rechten ein Schwert, in der Linken einen angebissenen Apfel. Sein Gewand vom Tage hatte er bereits abgelegt; darunter trug er eine schwarze, eng anliegende Jagdhose und ein weißes Hemd, das weit offen stand. Als er Marocia sah, legte er das Schwert sofort zur Seite.
»Das nenne ich Mut«, sagte er und lächelte. »Ich bin ehrlich überrascht, und das kommt nicht häufig vor.«
Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und das kam bei
ihr
nicht häufig vor. Also bückte sie sich und entfernte den Gegenstand, auf den sie getreten war, von ihrem Fuß.
»Oh, das entschuldigt bitte«, bat Lando. »Ich habe hier überall leere Pistazienhülsen ausgestreut. Auf diese Weise fühle ich mich auch ohne Wachen sicher. Ich hoffe, Ihr seid nicht verletzt.«
Er biss kräftig in den grünen Apfel und sah sie eindringlich an. »Aber wenn«, kaute er, »würdet Ihr wohl eher verbluten, als es mir gegenüber einzugestehen, habe ich Recht?«
Sie schmunzelte, schwieg aber weiter.
»Ihr seid nicht sehr gesprächig für jemanden, der andere ohne Aufforderung besuchen kommt. Möchtet Ihr eintreten?«
Marocia antwortete noch immer nicht, da drehte Lando sich um und ging zurück in sein Gemach. Die Tür blieb einladend geöffnet.
»Ich bin gekommen, um mich zu bedanken!«, rief sie ihm schließlich nach.
»Und außerdem?«
Sie sah ihn, noch immer im Gang stehend, mit halb geschlossenen Lidern an. Er lehnte lächelnd an einer Anrichte. Den angebissenen Apfel hatte er zur Seite gelegt und jonglierte nun einen zweiten von Hand zu Hand.
»Und außerdem?«, wiederholte er, diesmal gedämpft, fast flüsternd.
Langsam schritt sie in sein Gemach, der untere Saum ihres Morgenkleides schleifte auf dem Boden hinter ihr her. Eine Ellenlänge vor ihm blieb sie stehen. Landos Brust schimmerte bronzen im Licht der kleinen, zuckenden Flammen.
»Weil ich Euch gewinnen möchte.«
Die Antwort schien Lando zu gefallen. »So?«, rief er übertrieben überrascht und warf Marocia den Apfel zu. Sie fing die grüne runde Kugel, ohne sie anzusehen.
»Ja«, sagte sie. »Als Verbündeten.«
Landos Lächeln verschwand. Er blickte irritiert. »
Ihr
wollt
mich
als . . .«
»Wir verfolgen das gleiche Ziel.«
»Und das wäre?«
»Den Einfluss von Byzanz zurückdrängen.«
Er überlegte einen Moment, dann gewann er sein Lächeln wieder. »Das sind weit gehende Gedanken für einen so zauberhaften Kopf.«
»Danke, gleichfalls«, parierte Marocia und riss sich von seinem frech funkelnden Blick los. Ziellos schlenderte sie in seinem Gemach umher. Es war eine typische Gästewohnung des Lateran, groß, fast leer und unpersönlich.
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