Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
vor dem geöffneten Fenster und blickte unbeeindruckt dem Gewitter entgegen, das bereits die halbe Stadt erfasst hatte. Er wartete gelassen das Donnergrollen ab, dann wandte er sich an den jungen Gratian, der händeringend neben ihm stand.
»Das ist eine wichtige Nachricht. Und du bist sicher, dass sie richtig ist, ja?«
»Damiane hat es mir so erzählt.«
Desiderius nickte wohlwollend. Langsam, als schreite er einer Prozession voran, ging er zu seinem Schreibtisch, öffnete eine Lade, holte einen klimpernden Beutel hervor und überreichte ihn Gratian. »Sie ist also vernünftig geworden. Wie schön, dass du deine kleine Konkubine wieder im Griff hast.«
Gratians Blick verdunkelte sich. »So möchte ich das nicht nennen«, erwiderte er. »Im Übrigen habe ich in Kürze genug Geld beisammen, um mit ihr fortzugehen und . . .« Ein heftiger Donnerknall unterbrach Gratian. Er zuckte zusammen. Einen Augenblick später setzte das wilde Rauschen des Regens ein.
»Soll ich das Fenster schließen, ehrwürdiger
primicerius
?«, fragte er höflich.
Desiderius machte eine gleichgültige Geste mit den Händen. »Mich stört das Gewitter nicht. Aber bitte, wenn du unbedingt willst . . .«
Gratian drückte die Scheibe gegen den Widerstand des Windes zu. Draußen war die Landschaft in schiefernes Grau getaucht, doch am Horizont kündete ein gleißender Lichtstreif davon, dass auch dieses Unwetter einmal vorübergehen würde. Er seufzte, so als könnte er es kaum erwarten, diesen Horizont endlich über sich zu wissen.
»Schade«, sagte Desiderius und legte – was sehr selten vorkam – etwas Gefühl in seine Worte. »Du hast dir mit deiner Gesangskunst einen guten Namen beim Heiligen Vater gemacht. So gut, dass er meinem Vorschlag zugestimmt hat, dich zu meinem Sekretär zu ernennen. Spiele deine Trümpfe aus, und in ein paar Jahren gibt er dir eine Pfründe, vielleicht sogar eine Abtei. Und bis dahin«– er holte einen weiteren Beutel aus der Lade –»erhältst du ein festes Salär von mir.«
»Aber . . .«, stammelte Gratian, »aber eigentlich wollte ich doch . . .«
»Warum willst du wie ein Bauer leben, wenn es nur noch wenige Jahre braucht, bis du wohlhabend bist? Das wird sicher auch deiner Gespielin einleuchten.«
Gratian blickte die beiden Beutel in seiner Hand an, als könnte er darin seine Zukunft lesen. »Ihr . . . Ihr habt sicher Recht.«
Desiderius’ Mundwinkel verzogen sich fast unmerklich zu einem feinen Lächeln. »Natürlich habe ich das. Ich täusche mich nie in Menschen, mein junger Sekretär. Nie.«
Nachdem Gratian gegangen war, öffnete Desiderius wieder das Fenster und stellte sich gerade so weit von dem Sims weg, dass die Tropfen ihn nicht erreichen konnten. Dann und wann schlug ihm eine Böe entgegen, die er jedoch nicht weiter beachtete. Er grübelte. Marocia war also wieder schwanger, und Sergius würde wahrscheinlich bald Vater werden.
»Ausgerechnet jetzt«, flüsterte er, vom Donner übertönt, zu sich selbst. »Was für ein ungünstiger Zeitpunkt.«
14
Im Frühling des Jahres 910 erhielt der Lateran seinen jüngsten Bewohner: Marocia schenkte einem gesunden Jungen das Leben.
»Er soll einen typischen Papstnamen bekommen«, bestimmte Sergius, als er den Säugling das erste Mal auf den Arm nahm.
»Warum denn das?«, fragte Marocia mit leichtem Kopfschütteln.
»Weil er so friedlich ist. Seit er geboren wurde, hat er nicht ein einziges Mal laut geschrien.«
»Das stimmt«, flüsterte Marocia und dachte, dass er wohl mehr nach seinem Vater käme.
Marocia stimmte zu, als Sergius ihr Clemens – der Milde – vorschlug. Irgendwie, fanden beide, passte der Name zu diesem ungewöhnlich stillen Knaben, der immer nur gluckste, statt zu schreien.
Wenige Monate später saß Marocia mit Sergius und Clemens auf einer Wohnterrasse des Lateran beim Frühstück. Sanfte Brisen streichelten Marocias Haut und trugen den Duft der Rosen heran. Eine Weile ergab sie sich ganz dem Rauschen der Bäume und dem Tanz der Schmetterlinge um sie herum, dem Blick über Rom oder hinauf in die weißen, ziehenden Wolken. Dann aber kehrte sie wieder zu der schönsten Aussicht überhaupt zurück: Clemens auf dem Schoß seines Vaters.
Sergius wurde nicht müde, mit dem Kleinen zu spielen. Er steckte seinen Zeigefinger in die winzige Faust und zog ihn wieder heraus, gab ihm immer neue Kosenamen, hob ihn hoch und runter und ließ es sich auch nicht nehmen, ihn zu füttern. Als dabei ein großer Klecks Brei auf das
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