Die Herrin der Päpste - Walz, E: Herrin der Päpste
Wenn man nichts hierher mitbrachte, was den Raum füllen könnte – Truhen, Kleidung oder Waffen –, blieb er bis auf das Bett und einige verstreut stehende Möbel kahl. Der Fürst schien bescheiden zu reisen, denn außer seinem Schwert und dem Mantel, den er zuvor bei der Messe getragen hatte, konnte sie nichts entdecken, was ihm gehörte.
»Ihr reist allein?«, fragte sie ganz nebenbei.
»Ja.«
»Macht Ihr das immer so?«
»Fast immer.«
»Ihr macht viele Dinge lieber allein, nicht wahr?«
Er ging ihr einige Schritte nach, doch sie hörte nicht auf, umherzulaufen.
»Worauf wollt Ihr hinaus?«, fragte er interessiert.
Sie drehte sich schwunghaft zu ihm um und grinste. »Ihr liebt die Unabhängigkeit.«
»Für mich selbst, ja«, räumte er ein.
»Ihr selbst, Euer Land – das ist untrennbar. Ihr lasst Euch nicht gerne dreinreden. Ihr erkennt keine Autorität außer Eurer eigenen an. Gebt doch zu, Ihr strebt nach Capuas Unabhängigkeit, ohne italienischen König, ohne byzantinischen Kaiser. Mit dem Imperium werdet Ihr dank Eures Geschicks vielleicht noch selbst fertig, aber um Italien zu zähmen, braucht Ihr den Papst. Und der Papst steht mir näher als Euch, so viel dürfte wohl klar sein.«
»Wo liegt Euer Vorteil?«, fragte er vorsichtig wie ein Kaufmann.
Das gefiel ihr. Noch schlimmer als ewige Zauderer waren die Narren, die blind in die Schlacht stürmten und dort ebenso tapfer wie sicher den Tod fanden. Dieser Mann war anders, ja, sie bemerkte etwas von sich selbst an ihm. Sie blickte fest in seine grünen Augen, als sie antwortete: »Der Feind meines Feindes ist mein Freund.«
»Das reicht nicht«, erwiderte er nüchtern. »Vielleicht hat der Papst Euch nur geschickt, um mich auszuhorchen.«
Marocia lachte hell auf. »Sergius? Du liebe Güte, auf so eine Idee käme er überhaupt nicht. Im Gegenteil, wenn er wüsste, dass ich jetzt vor Euch stehe, würde er rot vor Eifersucht werden.«
Wie auf ein Stichwort stellte Lando sich so dicht vor sie, dass sie seine Wärme spüren konnte. Er sah sie an, legte die Hände auf ihre Schultern und begann, langsam ihren Mantel abzustreifen.
Wortlos trat sie einen Schritt zurück, raffte ihren Mantel wieder zusammen und ging zur Tür. »Wenn es
das
benötigt, um Euer Vertrauen zu gewinnen, kann ich leider nicht mitbieten, Fürst.«
Sie wollte schon gehen, als Lando sie zurückrief: »Wartet!«
»Ihr braucht Euch nicht zu entschuldigen, Fürst. Ihr wollt nichts, was andere nicht auch schon wollten.«
»Ich habe nicht die Absicht, mich zu entschuldigen«, parierte er. »Denn erst nach dieser Probe weiß ich, dass Ihr mich nicht belügt.«
»Probe?«, fragte sie, und in ihre Stimme mischte sich neben der Erleichterung auch eine Spur Empörung hinein. »Ihr meint, Ihr hattet nicht vor, mit mir . . .«
Sie stockte verlegen.
»Eine Spionin hätte sich sofort auf mich eingelassen, um mich auszuhorchen. In dem Moment, wo Euer Mantel zu Boden gefallen wäre, hätte ich Euch fortgeschickt. Euer Widerstand beweist mir Eure Ehrlichkeit.«
Sie konnte zunächst nichts entgegnen, so überrumpelt war sie von seiner Strategie. Er schien jede Finte zu kennen und zu nutzen, und das war mehr, als sie gewohnt war.
Lando lächelte. »Wenn Ihr mich wollt, könnt Ihr mich haben – als Verbündeten.«
Sie nickte wortlos.
»Wir können also aufeinander zählen, wenn es eines Tages darauf ankommt.«
Wieder nickte sie.
»Wenn es weiter nichts mehr gibt . . .«, meinte er. »Dann gute Nacht.«
»Gute Nacht«, echote sie und verließ das Gemach. Obwohl sie ihr Ziel erreicht hatte, ärgerte sie sich, nicht über Lando, sondern über sich selbst. War sie übertölpelt worden? Nein, da war nur jemand gewesen, der sich nicht einfach auf ein Spiel einließ, sondern sein eigenes machte.
Nach ein paar Schritten durch die Finsternis lehnte sie sich schwer atmend gegen eine kalte Wand. Sie griff sich an die trommelnde Kehle, strich ihre Strähnen aus der Stirn. Ein ihr unbekanntes Gefühl ergriff sie. Erst jetzt merkte sie, dass sie noch den Apfel in der Hand hielt, den Lando ihr zugeworfen hatte. Ihre Finger streichelten seine Schale, sie drückte ihn sich auf Wange und Mund. Noch einmal blickte sie zu den schemenhaften Umrissen der Tür, dann rannte sie barfußüber den kalten Boden davon.
Ein Blitz krachte über der von Wolken verdunkelten Senke nordöstlich des Lateran nieder und schlug im Triumphbogen des Konstantin ein. Desiderius stand, die Hände auf dem Rücken gefaltet,
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