Die Herrin der Pyramiden
sind mit Gipsmörtel verfugt worden, Euer Majestät. Die geborstenen Steine im Kernmauerwerk sind ausgetauscht worden, sofern sie den Arbeitern zugänglich waren. Um den in der Pyramide herrschenden Kräften entgegenzuwirken, haben Nefrit und ich beschlossen, einen Stabilisierungsmantel um die Pyramide zu legen, um das Ausbrechen der Quader zu verhindern.«
Seneferu hatte sich zu uns umgedreht, die Hände hinter dem Rücken verschränkt, die Schultern angespannt. Die Spannungen, unter denen die Pyramide stand, konnte ich berechnen. Wie viel konnte ein Mensch, ein Gott, ertragen, bis er in seinem Innersten zerbarst?
»
Khai Seneferu
– die Erscheinung des Seneferu! Diese Pyramide soll ein Sinnbild meiner erfolgreichen Regentschaft sein. Nun zerfällt die Pyramide und muss gestützt werden!« Hielt er die Bauschäden für ein Omen, das seine Regentschaft betraf? Oder waren es Rückschläge des Schicksals, die einen Menschen auf dem Zenit seiner Macht an die Sterblichkeit erinnerten? »Was ist mit der Pyramide in Pihuni, Nefrit?«
»Sie kann innerhalb weniger Wochen fertig gestellt werden, Majestät.«
»So eilig habe ich es nicht zu sterben, Nefrit.«
»Ihr hattet mir gesagt, dass die Pyramide zu klein geworden sei«, wandte ich ein.
»Ich werde sie vergrößern!« Seneferu wandte sich an Kamose. »Du wirst Pläne erstellen für die Erweiterung der Pyramide von Pihuni. Für die Fertigstellung lasse ich dir drei Jahre Zeit. Ich will die neuen Pläne morgen genehmigen!« Dann wandte sich Seneferu an mich. »Und du, Nefrit, wirst die
Khai Seneferu
zu Ende bauen.«
»Ich kann die Pyramidenform nicht aufrechterhalten, wenn ich weiterbaue, Majestät. Die Pyramide ist jetzt fast hundert Ellen hoch und mehr als die Hälfte der Steinquader sind verbaut. Der Druck der noch zu errichtenden Spitze der Pyramide wird die unteren Steinlagen regelrecht zerfließen lassen, wenn ich den Neigungswinkel einhalte.«
»Was schlägst du vor?«
»Den Neigungswinkel zu ändern.«
»Das ist lächerlich!«
»Es wird eine Knickpyramide entstehen, die zumindest an eine Pyramide erinnert. Alles andere ist eine unvollendete Pyramide!«
»Du hast eine diplomatische Art, einem Menschen seine Grenzen aufzuzeigen, Nefrit.« Er lächelte nicht. »Was hast du vor?«
»Ich verringere den Neigungswinkel, baue also flacher und damit leichter mit weniger Steinlagen weiter. Die Masse der Pyramidenspitze verringert sich und auch der Druck auf das Fundament. Ich werde rund vierhunderttausend Tonnen weniger Steinquader verlegen lassen. Ich werde in der Spitze kleinere Quader benutzen und verringere die Innenneigung der Steinlagen, bis sie ganz oben horizontal verlegt werden.«
»Wie hoch …?«
»Die fehlenden Steinlagen werden nach meinen Berechnungen weitere hundert Ellen hoch werden. Die Spitze der
Khai Seneferu
wird eine Höhe von zweihundert Ellen erreichen.«
»Zumindest zeigen mir deine Berechnungen, dass du offenbar trotz der Baukatastrophen der Vergangenheit glaubst, die Pyramide zu beherrschen.«
»Ich werde die
Khai Seneferu
beherrschen, Majestät.«
Drei Tage später ließ der König ein Dekret veröffentlichen, das ihm selbst seine Göttlichkeit absprach. Das Gesetz war vom Hohepriester des Re, Rahotep, und dem Hohepriester des Atum, Aperiatum, verfasst und von Nefermaat und Kanefer als Stellvertreter des Wesirs unter Protest gesiegelt worden.
Seneferu wurde durch sein Gesetz erst nach seinem Tode zum Gott, der zum Sternenhimmel aufstieg, wo Osiris ihn empfing. Während seines Lebens war er ein Mensch unter Menschen. Ein Mensch mit Begierden und Leidenschaften, triumphalen Siegen und vernichtenden Niederlagen. Ein Mensch zwischen Macht und Ohnmacht.
Wie tief musste Seneferu der Verlust seiner Pyramide getroffen haben!
Mein neuer Titel als Große Geliebte des Königs verursachte nicht nur Verwirrung unter den Würdenträgern, sondern gab auch Anlass zu Gerede und Gerüchten. Nicht nur bei Rahotep hatte die Ernennung Befremden verursacht.
»Hast du mit meinem Sohn das Bett geteilt, Nefrit?«, fragte mich Meresankh bei einem Abendessen in ihrem Garten.
Ich war so überrascht über ihre Frage, dass ich den Becher mit Dattelwein, aus dem ich trinken wollte, wieder abstellte. »Nein!«
Die Königinmutter sah mich nachdenklich an. Dann winkte sie den Mädchen an den Räucherbecken gegen die Mücken und den Wedelträgern, den Garten zu verlassen. Sie wollte mit mir allein sein.
»Das Kind war also nicht von
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