Die Herrin der Pyramiden
ihm?«
»Nein.«
Sie schien erleichtert. »Warum dann dieser Titel?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht gefragt«, antwortete ich. »Manchmal beschließt Seneferu in seiner Weisheit Dinge, die wir Sterblichen nicht verstehen.«
»Der Arzt Meru sagte mir, dass das Kind gezeugt wurde, als Rahotep bereits Hohepriester in Iunu war. Er kann also nicht der Vater sein.«
Ich schwieg und wehrte eine besonders aggressive Mücke ab.
»Du leugnest also nicht die Tatsache, dass du einen Liebhaber hast!« Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich schwieg weiterhin. »Nefrit, dir scheinen die dynastischen Verwicklungen nicht bekannt zu sein, die du durch deine Schwangerschaft hervorgerufen hast. Ich gönne dir deine Lust von Herzen, meine Tochter, aber schwanger zu werden … Bei Hathor! Du bist als Gemahlin eines Königssohnes und Hohepriesters in einer derart gehobenen Stellung, dass du aufpassen solltest, mit wem du das Bett teilst.«
Da Meresankh die Dienerinnen fortgeschickt hatte, nahm sie selbst den Weinbecher vom Tisch und trank einen Schluck. Ich erhob mich und schenkte ihr aus der Alabasterkaraffe nach. »Der Vater des Kindes wäre würdig, sich zu seiner Tochter zu bekennen, wenn er wüsste, dass er sie gezeugt hatte. Das Kind ist die Ernte einer einzigen Nacht.«
Meresankh legte mir die Hand auf den Arm und sah zu mir hoch. »Khufu bekennt sich zu den Kindern, die er gezeugt hat.«
»Khufu ist nicht der Vater.«
»Wer …?«
»Das geht dich nichts an!«
Meresankh betrachtete mich nachdenklich, als ich ihr gegenüber Platz nahm. »Ich bewundere deinen Mut, Nefrit! Du und ich haben viel gemeinsam. Ich will dir eine Geschichte erzählen. Es war einmal eine Nebenfrau eines Königs, die schenkte ihrem Gemahl drei Söhne, würdig, ihrem Vater auf den Thron zu folgen. Weil sie nicht in der Lage war, eine Tochter als Trägerin der Königswürde zu gebären, blieb sie Gottesgemahlin. Die Jahre vergingen, und der Lebendige Gott wandte sich einer anderen zu, die fähig war, ihre Pflicht für das Reich zu erfüllen und ihm eine Tochter zu schenken.« Sie seufzte. Der Schein des Weihrauchfeuers und die im leichten Nordwind fliegenden Funken wanderten über ihr Gesicht wie Wolken über den Mond. »Jahrelang wollte Huni nichts mehr von mir wissen, und ich welkte in seinem Harem dahin wie eine Blume ohne Wasser. Dann lernte ich einen jungen General kennen, der es gut verstand, meine unerfüllten Wünsche zu befriedigen. Die Frucht dieser Verbindung war eine Tochter.«
»Du hast Huni mit einem General betrogen?«, fragte ich überrascht. »Was ist aus der Tochter geworden?«
»Sie hat mich früh verlassen.«
»Das tut mir Leid.«
Sie nahm meine Hand. »Ich habe mein Geheimnis mit dir geteilt, Nefrit. Teilst du deines mit mir? Wer ist der Vater deiner Tochter?«
»Fürst Sarenput.«
Nach meinem Bekenntnis tat Meresankh alles, um die Gerüchte im Palast zu unterdrücken. Sie schrieb einen Brief an Rahotep und forderte ihn aus dynastischen Gründen auf, meine verstorbene Tochter offiziell als sein Kind anzuerkennen. Nach wochenlangem Zögern entsprach mein Gemahl dem Wunsch der Königinmutter und ließ im Wesirspalast ein entsprechendes Dokument siegeln.
Das Verhalten der Würdenträger mir gegenüber änderte sich. Ich war nicht mehr Mensch, nicht mehr Prinzessin, spielte nur noch meine Rolle bei Hofe. Man benutzte mir gegenüber vorsichtige und umständliche, manchmal zweideutige Formulierungen. Man berührte mich nicht, zeigte mir keine Zuneigung und behandelte mich als Fremde.
Ich wollte nicht nur die Rolle als Prinzessin spielen. Ich wollte als Mensch wahrgenommen werden. In meinem ganzen Leben hatte ich mich noch nie so einsam gefühlt. Um den nicht enden wollenden Gerüchten zu entgehen, zog ich in eine Villa am Stadtrand von Mempi, die Sekhem für mich gekauft hatte. Sekhem war wütend, seine Beziehung zu Merit abbrechen zu müssen, Satamun war glücklich, weil sie ihren Geliebten in der südlichen Vorstadt von Mempi jede Nacht sehen konnte. Ich nahm Sekhems und Satamuns Liebesbedürfnisse schweigend zur Kenntnis und kümmerte mich ausschließlich um die beiden mir unterstehenden Bauprojekte, für die ich nach Kamoses Abreise nach Pihuni zuständig war.
Der Abschied von Kamose war schmerzhaft – immerhin hatte ich ihn einundzwanzig Jahre lang für meinen Vater gehalten, und er hatte nichts getan, um mich daran zweifeln zu lassen.
Kamose hatte Seneferu Baupläne vorgelegt, die das
Weitere Kostenlose Bücher