Die Herrin der Pyramiden
eines Tages entscheiden sollte, dass Atum nicht der höchste Gott des Reiches ist.«
»Was ist mit dem Hohepriester Aperiatum?«, fragte Djedef.
»Ich kenne ihn. Er ist vertrauenswürdig und loyal«, warf ich ein.
»Euer Majestät«, sagte Djedef, »Ich bitte um Erlaubnis, zu meinem Regiment zurückzukehren, um die notwendigen Vorbereitungen zu treffen. Die Zeremonien beginnen bald!«
»Wer außer dem König weiß noch davon?«, flüsterte ich Djedef zu, der neben meiner Sänfte stand, als sich die Prozession zum Atum-Tempel im Vorhof des Palastes formierte.
«Niemand ahnt etwas. Keine Angst, Nefrit! Meine Männer wissen, was sie zu tun haben!«
Unruhig sah ich mich um. Hinter den Sänften des Königs und der Königin sowie denen von Aserkaf und Merit hatten Amenemhet und Iset in ihren Tragsesseln Platz genommen. Mereruka stand neben seinen Brüdern Kanefer und Merire. Neferti hatte sich unauffällig zwischen Aserkaf und Khufu gedrängt und Khufu in eine Unterhaltung verwickelt. Rahotep, der zur Sonnenwende aus Iunu angereist war, saß neben mir in seiner Sänfte und vermied jeden Blick zu mir. Was wusste er von der Verschwörung? Thotmes führte die Prozession der Würdenträger an. General Ahmose wich Djedef nicht von der Seite. Seine Hand lag wie unabsichtlich auf dem Griff seines Schwertes. Die von Khai kommandierten Palastwachen hatten bereits die Straße zwischen dem Königspalast und dem Tempel geräumt und flankierten sie. General Khai führte die Leibgarde des Königs selbst an.
Seneferu schien sich der Gefahr, in der er schwebte, nicht bewusst zu sein. Er nahm in seinem Tragsessel Platz und nahm die Haltung des thronenden Gottes ein, geschlossene Beine, gekreuzte Arme mit den beiden Zeptern, Blick in die Unendlichkeit.
Djedef wich während des ganzen Weges zum Tempel nicht von meiner Seite, obwohl ich ihn mehrmals aufgefordert hatte, das Leben des Königs zu schützen. Unauffällig sah ich mich um: Auf den Dächern der Villen, die die Prozession passierte, standen Soldaten des Ptah-Regiments mit Wurfspeeren. Als ich mich umdrehte, bemerkte ich, wie General Ahmose Djedef irritierte Blicke zuwarf.
Djedefs Männer bewachten nicht nur den Prozessionsweg von den Dächern der Villen aus, sondern auch den Sonnenhof des Tempels. Rund zweihundert Krieger standen entlang der langen Säulenreihen zu beiden Seiten des Tempelhofes und bildeten eine menschliche Wand. Sie standen so perfekt in einer geraden Reihe, als gehörten sie zum Zeremoniell. Amenemhet blickte zu Thotmes hinüber, der hilflos die Schultern zuckte.
Nachdem Seneferu und Hotephores die Throne bestiegen hatten, bezogen die Verschwörer ihre strategischen Positionen im Tempelhof. Amenemhet stand direkt hinter seinem Bruder, General Ahmose wich Djedef nicht von der Seite, General Mereruka stand bei Khufu, Neferti neben Aserkaf und Merit.
Die Sonnenwendfeier des Atum begann mit einem Rauchopfer auf dem Altar im Sonnenhof. Als Seneferu sich erhoben hatte, um zum Opferfeuer hinüberzugehen, hob Amenemhet seine Hand. Das war das verabredete Zeichen zur Ermordung des Königs.
Warum reagierten Djedefs Männer nicht?
Amenemhet hob seinen Dolch. Ich stürzte nach vorn, um ihm die Waffe zu entwinden. Hatte Seneferu nicht bemerkt, dass sein Bruder auf ihn losging? Amenemhet sah mich überrascht an, wirbelte herum und rammte mir den Dolch in den Bauch. Dann stürzte ich zu Boden.
Die Szenen meines Lebens zogen an mir vorüber: mein Traum, die Pyramide zu vollenden, meine Hoffnungen und Ängste, meine unstillbare Sehnsucht nach der großen Liebe ... und immer wieder
er.
Dann versiegten die Gedanken und hinterließen nichts als Leere. Ich konnte nichts mehr fühlen.
Ich lag im Sand des Sonnenhofes. Ein würdiger Ort zum Sterben. Ich war müde ... wollte schlafen ...
Ich fühlte eine Hand auf meinem Gesicht. Sie streichelte mich liebevoll.
»Nefrit, hörst du mich? Du verlierst sehr viel Blut! Du musst bei Bewusstsein bleiben!«
»Ich habe keine Schmerzen. Macht Euch ... keine ... Sorgen ...«, hauchte ich mit letzter Kraft.
Seneferu nahm mich in die Arme und trug mich zu seiner Sänfte. Das war das Letzte, was ich wahrnahm, bevor ich ohnmächtig wurde.
Rahotep saß auf meinem Bett und beugte sich über mich, als ich die Augen öffnete. »Wie geht es dir, Nefrit?«
»Mir geht es gut, Rahotep. Ich habe keine Schmerzen.« Ich schloss erneut die Augen, um in mich hineinzuhorchen. »Ich fühle mich wunderbar leicht, als würde ich
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