Die Herrin der Pyramiden
der Stelle. »Rahotep ignoriert meine Briefe! Soll ich schon wieder nach Iunu fahren?«
Kanefer sah unwillig auf. »Den Weg kannst du dir sparen, Nefrit. Rahotep ist in Mempi. Er ist bei unserem Vater.«
»Seit wann?«
»Seit heute Morgen.«
»Was haben die beiden zu besprechen?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
Ich ging vom Wesirspalast direkt in Rahoteps Wohnung, um dort auf seine Rückkehr von der Audienz bei seinem Vater zu warten. Ti, der sich wohl seine Zukunft als Liebhaber des künftigen Königs ausmalte, war überrascht, als ich Rahoteps Arbeitsraum betrat. Unser beider Schicksal war mit Rahoteps Karriere verknüpft, und nur so war es uns erträglich, gemeinsam auf ihn zu warten.
Erst am späten Nachmittag betrat Rahotep seinen Arbeitsraum. Er trug die Amtstracht des Hohepriesters des Sonnengottes mit allen ihm zustehenden Teilen des Königsornates. In der Tür blieb er stehen und starrte Ti und mich an, wie wir vor seinem Schreibtisch saßen und uns unterhielten. Ohne Streit.
»Macht er dich zum Nachfolger, Rahotep?«, fragte ich, während Rahotep zu Ti ging, um ihn zu küssen. Dann blieb er hinter seinem Geliebten stehen und schlang seine Arme um dessen Schultern.
»Ich weiß es nicht!«
»Aber er muss dir doch etwas gesagt haben!«, insistierte ich.
»Willst du Königin werden?«
»Nein, aber ich …«
»Dringe nicht weiter in mich, Nefrit! Ich weiß nicht mehr als du. Er hat auch mit Khufu gesprochen.«
Zwei Tage später besuchte mich Merit auf der Baustelle. Sie hatte sich von ihrem Schock erholt, ihren Bruder und Ehemann im Krieg verloren zu haben. Sie flatterte durch mein Zelt und zwitscherte sinnlose Worte wie ein kleiner Vogel.
»Was willst du hier?«, fragte ich sie, als mich ihr Verhalten unruhig zu machen begann. Schlagartig wurde sie ernst.
»Mein Vater hat sich entschieden.«
Ich sah nicht auf von meinen Plänen und Berechnungen. »Entschieden? Wozu?«
»Khufu wird Thronfolger. Mein Vater rief mich heute Früh zu sich und hat mir mitgeteilt, dass ich mich auf die Hochzeit mit Khufu vorbereiten soll.«
Im Palast hatte eine Zeit der Trauer begonnen. Die Männer schoren sich weder Haare noch Bart, die Frauen bestrichen sich die Stirn mit Kohle. Alle trugen weiße Kleider, schürzten sie und bewegten sich, von Klagefrauen begleitet, durch den Palast.
Nefermaat und Aserkaf wurden nebeneinander im Haus des Todes im Tempel des Ptah aufgebahrt. Siebzig Tage vergingen zwischen Tod und Begräbnis. Ich war Priesterin und sah es als meine Pflicht an, Nefermaat und Aserkaf das letzte Geleit zu geben. Ich begab mich in das Haus des Todes und vergaß für siebzig Tage die Welt der Lebenden.
Die Leichname von Nefermaat und Aserkaf lagen auf zwei nebeneinander stehenden Tischen. Sie wurden auf Holzklötze gelegt, damit die Balsamierer und Bandagierer an den Körpern arbeiten konnten. Es kostete mich einige Überwindung, dem Priester zu assistieren, als er begann, mit einem feinen Haken Aserkafs Gehirn durch die Nasenlöcher herauszuziehen, nachdem er es mit der scharfen Seite des Instrumentes im Schädel zerschnitten hatte.
Dann wurde der Unterleib mit einem scharfen Steinmesser geöffnet. Der Priester griff mit beiden Händen in den Leib und holte die Eingeweide heraus. Weil das Herz für das Fortleben im Jenseits notwendig war, musste es im Körper bleiben: Es wurde beim Totengericht gewogen. Die entnommenen inneren Organe und die leeren Körperhöhlen wurden gereinigt und mit zerriebenen Kräutern, mit Myrrhenpulver und Anis aufgefüllt. Leber, Lunge, Magen und Gehirn wurden in Kanopenkrüge aus Alabaster gelegt und zur Konservierung vorbereitet.
Die leeren Körper von Nefermaat und Aserkaf wurden mit Leinenlappen ausgestopft, die zuvor in Harz getränkt worden waren, damit die Form des Körpers nicht verloren ging. Dann wurden die Schnitte zugenäht und wie Mund, Ohren, Nase und Augen mit Wachs versiegelt. Die nächsten fünfzig Tage auf ihrem Weg zur Unsterblichkeit verbrachten Nefermaat und Aserkaf in riesigen Behältern mit Natronsalz, das den Toten die Feuchtigkeit entzog. Nach der Austrocknung durch das Salz wurden die Körper gewaschen und mit Ölen gesalbt. Dann wurden die Leichname in Leinenbinden gewickelt, die eine Länge von über fünfhundert Ellen hatten. Zuerst wurden die Finger, Hände und Füße der Toten umwickelt, dann der gesamte Körper. Alle Bindenstreifen waren in harzige Flüssigkeiten getaucht, die zwar die Körper vor dem Verwesen bewahrten, die
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