Die Herrin der Pyramiden
Frau die man liebt, zum Abschied zu küssen.«
»Du liebst mich nicht, Urnammu. Du kannst nur einen Menschen lieben, den du kennst. Mich kennst du nicht.« Trotzdem gestattete ich ihm einen Kuss. Ich wollte sichergehen, dass Khufu mich verstanden hatte.
Die Rückreise nach Pibastet zur wartenden Flotte dauerte zweiundzwanzig Tage, weil Ninsuns Tross nicht so schnell vorankam. Die Pferde und Esel waren mit Geschenken für Seneferu beladen und kamen nur im Schritttempo voran. Zudem reiste die Prinzessin in einer Sänfte. Die Abendlager wurden früher aufgeschlagen als auf der Reise nach Osten. Die Abendmahlzeiten verbrachten Khufu und ich mit Sargons Tochter und einem Übersetzer, da sie unsere Sprache weder sprechen noch verstehen konnte.
Ninsun war eine junge Frau von fast achtzehn Jahren mit großen blaugrünen Augen, heller Haut und Haaren von einer seltsamen Farbe. Ich hatte zwar schon viele Fremde gesehen, aber Haare von der Farbe reifen Weizens hatte ich noch nie gesehen.
Khufu verhielt sich ihr gegenüber höflich und zurückhaltend und gefiel sich in seiner Rolle als künftiger König von Kemet. Ich dagegen fragte sie über Akkad und Sumer aus. Der Übersetzer kam während unserer gemeinsamen Mahlzeiten weder zum Essen noch zum Trinken.
Nach dem dritten Tag reiste ich mit der Prinzessin in ihrer Sänfte, weil sie mich über Kemet befragen wollte. Sie hatte vor ihrer Abreise wenig Gelegenheit gehabt, sich über das Land und den König zu informieren.
»Dein Land ist eine einzige Wüste!«, beschwerte sie sich. Ich hatte in den letzten Monden ein paar Worte Sumerisch gelernt und deshalb verstand ich, was sie sagte. Aber meine Antworten fielen wegen meiner begrenzten Grammatikkenntnisse kurz aus.
»Hier sind wir im Sinai. In Kemet ist das Land fruchtbar.«
»Wo ist der sagenhafte Reichtum? Ihr Leute aus Kemet scheint ein armes Volk zu sein!«, bohrte sie weiter. »Ich weiß nicht, warum mein Vater überhaupt auf den Gedanken kommen konnte, dieses öde Land zu erobern!«
»Das hier ist nicht Kemet. Wir erreichen in einigen Tagen Pibastet. Dort warten die Schiffe des Königs, die uns nach Mempi bringen.«
Am vierten Tag fragte Ninsun mich über Seneferu aus. »Wie alt ist König Seneferu?«
»Er ist zweiundvierzig, Prinzessin.«
»So alt?«, fragte sie überrascht und hielt einen Fächer an ihre Lippen. »Dann ist er noch älter als mein Vater. Wann werde ich ihn kennen lernen?«
»Sobald wir in Mempi ankommen, wird er dich empfangen.«
Bei der Reisegeschwindigkeit ihrer Sänfte würde das noch Tage dauern. Ich war ungeduldig. Gern hätte ich ihre Träger zu mehr Eile angetrieben.
»Wann wird die Hochzeit sein?«
»Am nächsten Neumond nach unserer Ankunft.«
Sie schwieg einen Augenblick und sah zum Himmel auf. Suchte sie die Mondsichel oder erbat sie den Schutz ihrer Götter? »Ich habe gehört, dass er viele Frauen hat. Wie viele?«
»Die Große Gemahlin Hotephores und vier Nebenfrauen.«
»Mein Vater hatte nur eine Frau, meine Mutter. Aber er hat drei Geliebte.«
»Gleichzeitig?«, fragte ich. »Wie hat er da noch Zeit für Eroberungen?«
»Wann regiert König Seneferu bei fünf Gemahlinnen die Beiden Länder?«, konterte sie.
»Seneferu beginnt seinen Arbeitstag bei Sonnenaufgang wie jeder Mensch in Kemet und arbeitet bis lange nach Sonnenuntergang.«
»Dann werde ich ihn wohl nicht oft sehen.«
Die königliche Familie und die Würdenträger des Reiches hatten sich im Hafen von Mempi versammelt. Als die
Ankh
und die beiden Begleitschiffe festgemacht hatten, näherten sich die Tragsessel des Wesirs und des Königs dem Landungssteg.
Seneferus Sänfte wurde von acht schwarzen Kuschiten getragen. Er selbst war in einen golddurchwirkten Leinenschurz gekleidet, darüber trug er ein Leopardenfell, dessen Schwanz fast den Boden berührte, einen breiten goldenen Halskragen und die Doppelkrone. Die gekreuzten Hände hielten die beiden Zepter des Reiches. So saß er unbeweglich auf seinem tragbaren Thron und erwartete seine neue Gemahlin.
Die Blicke richteten sich auf Ninsun, die auf dem Oberdeck der
Ankh
im Schatten eines weißen Zeltes saß. Ich stand neben ihr und bemerkte, wie aufgeregt sie war. Sie war geblendet vom Glanz von Mempi.
Dann wurden die Vorhänge des Zeltes zurückgezogen, und ein Raunen ging durch die Menge im Hafen. Offenbar hatte noch niemand eine Frau mit goldenen Haaren gesehen. Ninsuns Kleid war ungewöhnlich farbig für das Land Kemet: Sie hatte sich für
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