Die Herrin der Pyramiden
das Leinen. Aber sie wollen zusätzlich noch Reitpferde.«
»Wozu?«
»Vielleicht wollen sie sie aufessen?« Dann besann ich mich auf die Gegenwart des Wesirs. »Die Stämme leben als Nomaden. Sie benötigen die Pferde als Lasttiere.«
»Du sprachst von Reitpferden. Für Lasten könnten die Häuptlinge genügsamere Esel nehmen«, warf Kanefer ein.
»Sie bestehen auf Pferden. Esel habe ich ihnen schon vorgestern angeboten.«
»Dann sind die Verhandlungen sinnlos, Nefrit. Sie wollen die Pferde für den Krieg. Sargons Steppenpferde sind schneller als unsere. Sie werden nicht ihn angreifen.«
Mit meinen vier ständigen Begleitern nahm ich an der Neujahrsprozession des Atum teil. Es war mein letzter verzweifelter Versuch, sie mit der Kultur von Kemet vertraut zu machen.
Wenige Ellen von mir entfernt saß Seneferu unbeweglich wie eine Statue auf seinem Thron und ließ die Prozession und das Götterbild des Atum an sich vorbeiziehen. Direkt neben mir rutschten die Häuptlinge aus dem Sinai auf ihren Stühlen hin und her, warfen sich Bemerkungen zu den aus ihrer Sicht freizügig gekleideten Priesterinnen des Schöpfergottes zu. Eindeutige Gesten verrieten mir, was sie mit dem einen oder anderen Mädchen nach den Feierlichkeiten vorhatten.
Einmal sah ich Seneferu zu mir herüberblicken. Er verzog amüsiert den Mund. Khufus Gesicht war verschlossen und abweisend. Sarenput sah hin und wieder ermunternd zu mir herüber. Rahotep beachtete weder mich noch meine Begleiter.
Beim abendlichen Empfang im Garten des Palastes setzte sich Sarenput während des letzten Ganges neben mich. Meine vier Begleiter hatten sich bereits mit einigen Mädchen hinter die Büsche des Gartens zurückgezogen.
»Wie geht es mit der Zähmung der Raubtiere voran?«, fragte Sarenput.
»Können wir das Thema wechseln?«, fragte ich kauend.
»Wenn du willst, Nefrit.«
»Wie geht es mit deiner Ehe mit Tiya?«
Sarenput verdrehte die Augen. »Können wir das Thema wechseln?«
»So schlimm?«
»Meine Frau weigert sich, das Bett mit mir zu teilen, und meine Geliebte reist bis zum Ende der Welt.«
Ich wollte zu einer Entgegnung ansetzen, als ich Ramesse unter den anwesenden Gaufürsten entdeckte. »Was tut Ramesse hier?«, fragte Sarenput, der ihn ebenfalls gesehen hatte.
»Hat er nicht wie alle Fürsten eine Einladung zur Neujahrsfeier erhalten?«
»Mit Sicherheit. Zeremonienmeister Sennedjem unterlaufen keine derartigen Fehler. Aber es muss Ramesse klar sein, dass er die Einladung freundlich abzulehnen hat. Er darf Buto nicht verlassen.«
Ramesse kam zu uns herüber, als habe er geahnt, dass wir über ihn sprachen. »Sei gegrüßt, Sarenput.« Er zog sich einen Stuhl heran und ließ sich neben uns nieder.
»Ramesse! Ich dachte, du wärst in Buto.«
»Ich stehe nicht unter Arrest.«
»Die Befehle des Königs waren eindeutig.«
»Deshalb bin ich hier. Mein Onkel hat mich zum Fürsten von Buto ernannt, und diese Aufgabe erfülle ich. Ich habe eine Einladung erhalten und bin gekommen.«
»Wenn der König erfährt, dass du hier bist …«, sagte Sarenput.
»Er weiß es schon!«, unterbrach ihn Ramesse. »Khufu hat mich gesehen und steht jetzt gerade neben seinem Vater.«
»Was hast du vor, Ramesse?«, fragte Sarenput.
»Sei nicht so misstrauisch, Cousin. Ich bin hier, weil ich dem König helfen kann.«
»Wie willst du ihm helfen, Ramesse?« Kanefer war unbemerkt herangetreten.
»Sei gegrüßt, Wesir. Ich hoffe, dass meine Anwesenheit nicht das Protokoll des Abends durcheinander bringt.«
»Überschätze dich nicht, Ramesse! Sollte das geschehen, lasse ich dich nach Buto zurückeskortieren!«
»Das wirst du sicher nicht tun, wenn ich mit deinem Vater gesprochen habe.«
»Er wird dich nicht empfangen.«
»Dann wirst du dafür sorgen, Wesir, dass er es tut! Ich habe Informationen über Amurru, die er wichtig finden wird.«
»Worüber will Ramesse mit mir sprechen?«, fragte Kanefer mich bei unserer morgendlichen Besprechung zwei Tage nach dem Empfang.
»Ich weiß es nicht, Kanefer.«
»Hat er es dir nicht letzte Nacht erzählt? Er wohnt doch in deiner Villa am Stadtrand von Mempi.«
»Wie kommst du darauf, dass wir …«
»Du hast fast vier Monde im Fürstenpalast von Buto gewohnt, und du willst mir sagen, dass nichts zwischen euch ist?«
»Bist du eifersüchtig, Kanefer?«
»Nein, Nefrit. Ich nicht. Sarenput.« Er ließ seine Worte einwirken. »Er hat dich letzte Nacht gesucht. Ich bin gestern erst spät in den
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