Die Herrin der Pyramiden
eigentlich, was Vertrauen ist, Ramesse? Du hättest diese Audienz bei Seneferu zwei Tage früher haben können.«
»Ich kenne Mempi zu wenig. Ich weiß nicht, wem ich trauen kann und wem nicht. Die sumerischen Truppen warten auf ein Zeichen. Wer wird es ihnen geben? König Sargon oder jemand hier in Mempi? Hast du darüber nachgedacht, dass es einen Verräter geben könnte?«
»Du hast gedacht, dass ich …«
»Du bist Rahoteps Gemahlin. Rahotep grollt seinem Vater, weil er nicht in den Tempel von Iunu zurückkehren darf und wegen der Herrschaft des Atum über Re. Du bist Sarenputs Geliebte gewesen. Sarenput hat eine erstaunliche Karriere gemacht, nachdem sein Onkel ihm gesagt hat, dass nicht er, sondern Kanefer Wesir wird. Seine Macht geht weit über die eines Fürsten von Mempi hinaus. Außerdem kennst du Ninsun und Urnammu.«
»Auch du hast Umgang mit Sumerern wie Mesilim.«
»Dann hältst du mich also für einen Verräter, Nefrit? Warum hätte ich Seneferu warnen sollen, anstatt selbst nach Jericho zu reiten, um die Truppen gegen Kemet zu führen?«
»Verrat hat viele Gesichter, Ramesse. Du hast die Weitergabe der Informationen um zwei Tage verzögert.«
»Ich gebe mich geschlagen«, sagte er lachend und machte eine Armbewegung, als würde er sein Schwert vor sich hinwerfen. »Du kannst mit mir tun, was du willst.«
Und das tat ich.
Am nächsten Tag erhielt ich etliche Berichte, die ich aufmerksam las. Der erste Bericht war von Meru, dem Hofarzt des Königs. Er hatte Ninsun untersucht und eine Schwangerschaft festgestellt. Nach Aussage von Ninsun hatte Seneferu ihr nur ein Mal beigewohnt. Nach den Worten des Arztes ging es ihr den Umständen entsprechend gut, abgesehen von einer morgendlichen Übelkeit. Ich konnte mich gut an diesen lästigen Umstand meiner eigenen Schwangerschaft erinnern. Meine eigene Tochter wäre nun fast vier Jahre alt gewesen, wenn sie das Attentat überlebt hätte.
Auch der zweite Bericht war vom Hofarzt Meru. In der vergangenen Nacht war Merit von ihrem dritten Sohn entbunden worden. Khufu schien es mit seiner eigenen Dynastie eilig zu haben, während weder Sarenput noch Rahotep bisher Nachkommen gezeugt hatten. Henutsen war bereits im achten Mond schwanger und würde Khufu in Kürze das fünfte Kind schenken.
Ich ließ die beiden Berichte für das Archiv kopieren und anschließend die Originale in die Ledermappe für Kanefers tägliche Besprechung bei seinem Vater legen.
Ein weiteres Schriftstück dokumentierte den Baufortschritt an der Pyramide von Pihuni, die in wenigen Monden fertig gestellt sein würde. Kamose war stolz zu berichten, dass nur noch wenige Steinlagen bis zur Spitze zu verlegen waren und in Kürze die erste wirkliche Pyramide fertig gestellt sein würde. Er bat um einen Termin für die Aufnahme der Kulthandlungen.
Ich war überrascht, als ich das Testament von General Horemhab auf meinem Schreibtisch fand. Ich hatte nicht gewusst, dass der General gestorben war. Ich las das Testament aufmerksam durch. Hunis Cousin war ein reicher Mann gewesen und hatte seiner einzigen Tochter Iya nicht nur eine Villa in Pihuni, sondern auch Grundbesitz und einen wahren Silberschatz hinterlassen. In das Testament eingerollt fand ich eine Notiz des königlichen Zeremonienmeisters, dass der König ein Staatsbegräbnis für den General wünsche.
Der nächste Papyrus war ein Befehl des Königs, in dem er Rahotep und Ramesse gemeinsam als Feldherrn des Sinai-Feldzuges bestimmte. Djedef war als General den beiden Prinzen unterstellt. Der Marschbefehl war für den nächsten Tag erteilt worden, und so beeilte ich mich mit der Weitergabe des Papyrus, den ich kopieren und durch Boten an die drei Generäle verteilen ließ.
Nachmittags erschien Rahotep in meinem Arbeitsraum im Ministerium. Er hielt eine Papyrusrolle unter dem Arm, die er mir zur Siegelung überreichte.
»Was ist das?«, fragte ich.
»Mein Testament. Bitte leg es Kanefer vor, damit er es siegelt.«
Ich schwieg.
»Du kannst es lesen, wenn du willst«, bot er mir an.
»Warum reichst du jetzt dein Testament ein, Rahotep?«
»Vielleicht ist dir entgangen, dass ich mit Ramesse zusammen in den Krieg ziehe. Er ist darüber offensichtlich genauso ungehalten wie ich. Dein Gemahl und dein Geliebter auf einem gemeinsamen Feldzug! Mir scheint, dass wir gegeneinander in den Krieg ziehen. Ich befürchte, dass einer von uns beiden nicht zurückkehren wird, selbst wenn er den Feldzug überlebt.«
Gegen Abend kehrte
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