Die Herrin der Pyramiden
Prinz nickte schweigend.
»Der Tod meiner Tochter ist das eine, deine Weigerung, sie zu heiraten und unsere Dynastien in Frieden zu verbinden, war eine Beleidigung meiner göttlichen Person. Dein Vorschlag, Ninsun mit einem deiner Söhne zu verheiraten, war eine unglaubliche Missachtung meiner Wünsche.«
Ich übersetzte Seneferu Sargons Worte.
»Mein Sohn Kanefer ist nicht irgendeiner meiner Söhne! Er leitet als Wesir in meiner Abwesenheit die Regierungsgeschäfte. Er regiert das Land Kemet, wie ich es tue. Die Ehe mit dem Wesir ist eine hohe Ehre für …«
»Meinen Informationen nach ist Kanefer nicht verheiratet!«, unterbrach Urnammu Seneferu.
Sargon sah ärgerlich seinen Sohn an, dessen Worte er nicht verstanden hatte.
Seneferu reagierte auf diesen Einwurf ähnlich gereizt.
»Der Vorschlag, Ninsun zu heiraten, kam von Kanefer selbst, der sich bereit erklärt hatte, diese Ehe einzugehen. Ich habe mich geweigert, Ninsun zur Königsgemahlin zu machen, weil ich mich nicht zur Heirat zwingen lasse. Von niemandem.« Seneferu hatte seine Worte an Sargon und nicht dessen Sohn gerichtet, und entsprechend übersetzte ich sie.
»Du sagst, ich hätte dich gezwungen, meine Tochter zu heiraten? Mir scheint, dass du die Chancen nicht erkannt hast, die sich aus einer solchen Ehe ergeben können. Mir scheint, dass du nicht ernsthaft am Frieden interessiert bist!«
Ich übersetzte seine Worte, und Seneferus Stirn legte sich in Falten.
»Nefrit, sag Sargon, dass er den Krieg durch seinen Verbündeten Ramesse heraufbeschworen hat. Wie kann ich anders reagieren, wenn er seine Vasallen in meiner eigenen Familie sucht?«, antwortete Seneferu, und ich übersetzte.
Sargon war aufgesprungen und zu einer sumerischen Landkarte aus gegerbtem Rindsleder hinübergegangen, die an der Zeltbahn befestigt war. Er hatte seinen Dolch gezogen und deutete mit der Klinge auf das südliche Amurru. »Mein Bruder Seneferu führt Krieg in Amurru, das an meiner Westgrenze liegt«, sagte Sargon, und ich übersetzte.
»Das Reich von Sumer lag nicht immer an der Ostgrenze von Amurru. Während seiner Eroberungszüge sollte Sargon die Grenzen meiner Vasallen beachten, wenn er mit mir in Frieden leben will!«
»Amurru war nicht immer Vasall von Kemet!«, fuhr Urnammu auf. Sargon sah seinen Sohn wütend an.
»Verhandele ich mit dir, Urnammu, oder mit deinem Vater? Wer von euch beiden ist König von Sumer?«, fragte Seneferu scharf.
Urnammu antwortete nicht, weil ihm sein Vater einen kurzen Befehl gab. Der Prinz erhob sich, verbeugte sich vor beiden Herrschern und stürmte aus dem Zelt.
Sargon wandte sich an mich. »Das Verhalten meines Sohnes entspricht nicht den Gepflogenheiten eines künftigen Herrschers. Aber er hatte Recht: Amurru war nicht immer Vasall von Kemet. Fürst Adonija zeigte sich einem Bündnis mit Sumer nicht abgeneigt.«
Ich flüsterte Seneferu Sargons Entscheidung zu, seinen Sohn Urnammu aus den Verhandlungen herauszuhalten.
»Fürst Djedef von Amurru ist nicht nur ein siegreicher General, sondern auch ein loyaler und fähiger Souverän. Es wird wohl keine Zweifel an seiner Vasallenschaft geben«, sagte Seneferu. »Mehr Zweifel habe ich hingegen an der Gefolgschaft der Stämme im Sinai, die du durch Pferde- und Waffenlieferungen gegen mich aufwiegelst, wie du es bei Fürst Adonija getan hast.«
Sargon ging auf diesen Vorwurf überhaupt nicht ein.
»Sag meinem Bruder Seneferu, dass die Eroberung des Zedernlandes, das ich ihm als Brautgeschenk für Ninsun gegeben hatte, sehr verlustreich war. Wie auch der Kampf gegen seinen General Ramesse, der Urnammu als Gefangenen nach Kemet verschleppt hat.«
Seneferu konnte trotz aller Anspannung bei der Übersetzung von Sargons Worten ein Lächeln nicht unterdrücken. »Mein General Ramesse?«, fragte er, und ich übersetzte.
»Er hat Urnammu gefangen genommen«, versicherte Sargon.
»Unsinn!« Seneferus Stimme war gefährlich ruhig geworden. »Ramesse und Urnammu haben zusammen mit dem Fürsten von Amurru ein Attentat auf mich geplant und durchgeführt. Mein Neffe Sarenput und meine Tochter Henutsen sind dabei getötet worden. Urnammus Umsturzversuch ist unverzeihlich, darauf steht die Todesstrafe. Aber er lebt noch. Ist das nicht ein Zeichen meiner guten Absichten?«
Sargon antwortete nicht. Sprungbereit wie ein Panther saß er auf seinem Thron.
Ich ging hinüber zu einem kleinen Tisch, auf dem Becher und ein Krug mit Wein standen. Ich schenkte zwei Becher voll und
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