Die Herrin der Pyramiden
willst!«
Nanum riss den Kadaver an sich und galoppierte in Richtung Markierung, elf Reiter hinter sich.
Er musste an mir vorbei. Ich drehte mein Pferd und drängte ihn ab. Ich sah mich nach Sargon um, aber er war auf der anderen Seite der Verfolger und konnte mir nicht helfen. Also versuchte ich mein Glück allein. Ich galoppierte so dicht neben Nanum, dass sich unsere Pferde beinahe berührten. Er sah mich irritiert an, dann glitten seine Blicke über meine nackten Beine.
Diesen Augenblick nutzte ich aus, ergriff ein Bein des Lamms und begann zu ziehen. Er lachte und verstaute den Kadaver unter seinem Schenkel, für mich unerreichbar. Die Markierung war schon sehr nahe.
Erneut wechselte Nanum die Richtung und ich folgte ihm. Hinter mir näherte sich Sargon.
In diesem Augenblick stolperte Nanums Pferd in einer Bodensenke und brach in die Knie. Nanum flog aus dem Sattel und landete unsanft auf dem Boden. Der Kadaver lag neben ihm.
Ich zügelte mein Pferd und nutzte die Chance. Ich war zu klein, als dass ich den Kadaver vom Pferd aus erreichen konnte. Also sprang ich ab, ergriff das tote Lamm und rannte mit ihm auf den Armen zur Markierung.
Die letzten Schritte ging ich gemächlich und ließ das Lamm schwungvoll hinter die Markierung fallen.
Sargon zügelte seinen Hengst neben mir.
»Ich wollte nicht auf dich warten, Majestät!« sagte ich übermütig.
Der König sprang ab. »Und ich dachte, du wärst heute Abend mein Gast!«
Einer der Reiter hob das Lamm auf und ritt damit zu Urnammu, während Sargon und ich unsere Pferde an den Zügeln hinter uns herführten. Eine Weile gingen wir schweigend, dann fragte mich Sargon: »Der Fürst von Amurru ist ein persönlicher Freund von Seneferu, nicht wahr?«
»Ich wüsste nicht ...«
»Wer wird Seneferus Nachfolger als König von Kemet?«
»Er hat keinen Nachfolger benannt.«
»Khufu?«
»Nein.«
»Rahotep?«
»Nein.«
»Djedef?«
Ich war stehen geblieben und sah Sargon fragend an.
»Seneferu nennt ihn bei seinem Namen und nennt ihn seinen Freund«, erklärte der König von Sumer, der ebenfalls stehen geblieben war.
»Das ist mir ...«
»... entgangen?« vervollständigte Sargon meinen Satz. »Du hast mir gesagt, du bist nicht Seneferus Geliebte.«
»Das stimmt.«
»Ihr beide reagiert, als würdet ihr euch schon jahrelang kennen.«
»Das tun wir, Majestät. Ich war die Gemahlin des Prinzen Rahotep, bis ich von ihm geschieden wurde. Dann wurde ich die Gemahlin des Prinzen Sarenput, bis dieser bei dem Attentat durch Semenkhkare starb.«
»Dann wärst du die nächste Königin von Kemet geworden?«
Ich schwieg.
Er ging weiter und ich folgte ihm.
Die Zubereitung des Lammfilets dauerte nicht viel länger als ein paar Minuten. Sargon und ich hatten uns auf den Kompromiss geeinigt, mein Lamm in seinem Zelt zu essen.
»Bist du enttäuscht?« fragte er mich. Er lag auf einem Kissen neben dem Kohlebecken und beobachtete meine Reaktion.
»Nein.« Ich war sicher, dass er nicht das Fleisch des Lammes meinte.
»Ich dachte, du liebst die Macht.«
Mit seinem Dolch zerteilte er das Fleisch, um es mit der Klinge aufzuspießen und in den Mund zu stecken. Ich aß lieber mit den Fingern, denn die sumerischen Dolche waren unglaublich scharf.
»Nicht so wie du es tust. Reichtum und Macht waren für mich immer ein Mittel, der Armut, in der ich aufgewachsen bin, zu entkommen.«
»Armut?« fragte er überrascht und nahm sich eine getrocknete Dattel vom Teller.
»Ich bin als Tochter eines Feldarbeiters aus dem Süden unseres Landes aufgewachsen. Der Mann, den ich für meinen Vater hielt, war Steinbrucharbeiter auf einer Pyramidenbaustelle des Königs, bevor er zum Königlichen Bauleiter aufstieg.«
Ich hielt Sargon meine Hände hin. »Diese Hände haben im Hapi Wäsche gewaschen. Sie haben Felder gepflügt, und Früchte geerntet.«
Sargon hatte meine Hände ergriffen und betrachtete sie.
»Deine Hände sind kräftig, Nefrit.« Er ließ sie nicht mehr los. »Wir haben mehr gemeinsam, als ich dachte. Auch ich bin nicht als Herrscher geboren, sondern habe mich zu dem gemacht, was ich heute bin.«
Mit einer ungeduldigen Handbewegung scheuchte er die Diener aus dem Zelt. Er wollte mit mir allein sein.
»Ich möchte dir eine Geschichte erzählen, die heute kaum noch jemand kennt. Es ist meine eigene. Ich habe sie sorgfältig verborgen gehalten und etwas anderes zur Wahrheit erklärt.«
Ich wartete ab, was er mir erzählen würde, und trank einen Schluck des
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