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Die Herrin der Pyramiden

Die Herrin der Pyramiden

Titel: Die Herrin der Pyramiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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begann.
    Wir durchquerten die Große Halle, und ich starrte an die Decke etliche Ellen über mir, während der Priester Sethi mit der Rezitation der Tempelregeln begann, als wären die Verbote die Weltordnung der Maat. »Regel eins: du verlässt den Tempel nie ohne Genehmigung. Verstanden?«
    »Ja!« Warum sollte ich den Wunsch haben, den Tempel zu verlassen? Ich war doch gerade erst angekommen!
    »Regel zwei: du verlässt den Tempel nie ohne Begleitung.«
    »Niemals«, bestätigte ich.
    »Regel drei: Während der Nachtstunden, während der Morgen- und der Abendriten, während der anderen kultischen Handlungen an Feiertagen und an normalen Tagen musst du dich still verhalten. Stille heißt im Tempel des Ptah: Schweigen.«
    »Ich darf nichts sagen?«
    »Du hast richtig verstanden, Nefrit. Schweigen heißt: nicht sprechen, nicht lachen, nicht flüstern. Stille bedeutet aber auch, dass du, solltest du Tempeldienst haben, diesen leise verrichtest und nicht mit den goldenen und silbernen Gefäßen klapperst.
    Regel vier: du darfst im Tempelbezirk nicht rennen, auch wenn es dir in deinem Alter manchmal schwer fallen sollte. Die Priesterschaft und damit auch die Schüler der Tempelschule bewegen sich bedächtig und würdevoll.«
    »Ich werde mich bemühen«, versprach ich.
    »Regel fünf: Gehorsam gegenüber den Priestern.«
    Das war wohl die Regel, die mir am meisten Ärger bereiten würde.
    »Regel sechs: du verhältst dich den Priestern gegenüber so, wie du wünschst, dass sie dir begegnen: mit Respekt und Würde. Du wirst den Priestern keine schönen Augen machen und sie nicht zu Handlungen verführen, die nicht in ihrem Aufgabengebiet liegen. Hast du mich verstanden?«
    »Klar und deutlich«, sagte ich.
    »Regel sieben: Deine Ausbildung ist umfassend und teuer. Du wirst dir Mühe geben, das übermittelte Wissen aufzunehmen und anzuwenden. Du wirst dich bemühen, keine Frage zweimal zu stellen. Du wirst deinen Mitschülern helfen, wenn sie Probleme haben.«
    Der Gottesdiener Sethi zählte zweiundzwanzig Regeln auf, die das Leben im Tempel in geordnete Bahnen lenken sollte. Mehr als zweihundert Priester und hundertzwanzig Tempelschüler lebten in den Mauern des Ptah-Tempels. Der Tempel war eine Stadt in der Stadt.
    Wir erreichten den Großen Sonnenhof, in dem das Volk nach Bezahlung der erforderlichen Gebühr an die Priester seine Opfer bringen durfte. Links und rechts begrenzten Säulen den Hof, der auf einen Pylon, einen riesigen Torbau, mündete. Der Pylon war mit bunt bemalten Reliefs geschmückt, die den Gott Ptah und seine Gemahlin Sekhmet zeigten. Vor ihnen stand der König mit Opferschalen in der Hand.
    Hinter dem Pylon durchquerten wir einen großen Hof mit Statuen und Säulenhallen, dann eine kleinere Vorhalle und einen großen Säulensaal vor dem zentralen Tempelbezirk.
    Wir betraten die Heilige Halle mit den angrenzenden Kulträumen. In der Halle war es beinahe dunkel, nachdem sich Re auf den Horizont gesenkt hatte. Während der Fußboden von Raum zu Raum ständig anstieg, verringerte sich die Deckenhöhe, die längs der Tempelachse symmetrisch angeordneten Innenräume wurden niedriger, schmaler und dunkler.
    Die Tempelwände in diesem Gebäude waren mit Bronze- und Weißgoldblechen verkleidet, der Tempelboden mit Silber, das den Urozean darstellen sollte, die Decken als Himmel mit Lapislazuli und Gold. Auch die Götter- und Königsfiguren waren in diesem Teil des Tempels aus edleren Steinen als im Säulenvorhof, zu dem auch das Volk Zutritt hatte. Die Statuen waren aus Granit oder Basalt farblich wie Menschen gestaltet. Besonders die Augen dieser Statuen, die aus Bergkristall aus dem Sinai bestanden, faszinierten mich. Im Licht von Fackeln und Kohlebecken sah ich etliche Schritte vor mir Priester und Tempeldiener die Abendriten für Ptah und Sekhmet im steinernen Götterschrein durchführen. Von Nebenräumen, Magazinen, Sakristeien, Archiven, Kapellen für kleinere Götter umgeben, lag zentral und irgendwie zu klein geraten die Kapelle des Allerheiligsten mit dem Granitschrein für das Götterbild des Ptah, und auf einem Sockel in einem Nebenraum die tragbare Barke für Prozessionen des Gottes. Diese Kapelle war der Sitz der Gottheit inmitten des Tempels, der verkleinert dem Kosmos entsprach. Obwohl ich noch nie einen Tempel betreten hatte, erkannte ich sofort die Bedeutung der verschiedenen Räume und Bauelemente. Es hatte sich gelohnt, Imhoteps Schriften über Architektur mit meinem Vater zusammen zu

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