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Die Herrin der Pyramiden

Die Herrin der Pyramiden

Titel: Die Herrin der Pyramiden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Goldstein
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sich mir in meiner Nacktheit zu nähern, erkannte ich den Lebendigen Gott Seneferu.
    In diesem Augenblick erwachte ich.
    Vor den Morgenriten erschien der Priester und befreite mich aus dem Allerheiligsten. »Hattest du deine Offenbarung, Nefrit?«
    »O ja. Ich habe den Gott gesehen.« Ich sagte ihm nicht, welchen Gott ich gesehen hatte.
     
     
    In einer langwierigen Zeremonie weihte mich der Hohepriester zur Gottesdienerin. Die rituellen Handlungen dauerten fast zwei Stunden. Endlos kniete ich vor Ptah und legte meine priesterliche Reinigungsbeichte ab: »Ich habe nichts gegessen, was verboten ist. Ich habe keinen Menschen getötet. Ich habe keinem Menschen die Freiheit genommen. Ich habe nicht mit dem Mann einer anderen geschlafen …« Ich zögerte. Hatte ich das wirklich nicht? Iya und Djedef waren sich zwar versprochen, aber noch nicht verheiratet.
    Seine Heiligkeit sah mich irritiert an, und ich fuhr mit der Beichte fort: »Ich habe nicht geflucht. Ich habe nicht gestohlen. Ich habe den Tempel nicht geschädigt …«
    Ich zählte vor Ptah alle zweiundfünfzig Vergehen auf, die ich nicht begangen hatte, bevor mich der Hohepriester mit sich nahm, um mich zu salben, zu kleiden und zu belehren.
     
     
    Den Abend verbrachte ich allein am Heiligen See und starrte in das unbewegte Wasser. In fünf Tagen würde ich an der Neujahrsprozession des Ptah teilnehmen. Mein drittes Jahr im Tempel begann.
    Ich aß die Gottesspeise, die von den Abendriten übrig geblieben war, als ein Priester sich näherte. Er hatte seinen Schurz sehr eng gebunden und konnte nur kleine Schritte machen, als er den Heiligen See umrundete. Er hielt etwas in der Hand. Einen Brief.
    Umständlich setzte er sich neben mich auf die Stufen, die zum See hinabführten. Er ordnete die Falten seines priesterlichen Leinenschurzes, bevor er sprach. »Nefrit, ich habe hier etwas für dich.«
    »Was ist es?«, fragte ich kauend.
    »Das will ich von dir wissen.«
    »Wenn du es mir nicht zeigst, dann weiß ich nicht, was es ist.« Ich biss erneut in das Fladenbrot.
    »Nefrit, nur weil du nun Gottesdienerin bist, kannst du dir nicht jeden Regelverstoß erlauben. Du bist oft genug geschlagen worden während deiner Ausbildung. Es gibt härtere Strafen als Schläge mit dem Rohrstock.«
    Der Priester hob den Brief, den er in der Hand hielt. Als ich danach greifen wollte, zog er ihn weg. »Du weißt, von wem dieser Brief ist?«
    »Nein, natürlich nicht. Wer sollte mir einen Brief schreiben?«
    »Dein Geliebter, Nefrit.«
    Ich hatte plötzlich keinen Hunger mehr. Wusste die Tempelverwaltung von Djedef? Ich war vorsichtig gewesen und hatte mich vergewissert, dass mir niemand folgte. War das Iyas Rache?
    »Ich habe den Brief gelesen. Dein Geliebter schlägt dir ein Treffen vor. Er sei in wenigen Tagen in der Stadt und könne es nicht mehr erwarten, dich zu sehen.«
    Ich verdammte Djedef wegen seiner Unvorsichtigkeit. Wie konnte er mir einen Brief schreiben, der von der Tempelverwaltung abgefangen werden würde? »Das muss ein Missverständnis sein. Ist der Brief vielleicht falsch adressiert?«
    »Ich kenne nur eine Nefrit aus Tis, die hier ihre Ausbildung macht«, sagte der Priester. »Dein Geliebter muss ein wichtiger Mann sein. Mit eigenem Siegel.«
    »Was dich offensichtlich nicht davon abhielt, es zu brechen.«
    »Ich habe den Brief dieses Kamose gelesen.«
    »Kamose?«, fragte ich und stellte die Schale mit den Bohnen auf die Stufen. »Hast du eben Kamose gesagt?«
    »Ich dachte, du kennst die Namen deiner Liebhaber.«
    Ich lachte, bis mir die Tränen in die Augen stiegen. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich den Priester in Kenntnis setzen konnte, dass jener Kamose nicht mein Liebhaber, sondern mein Vater war.
    »Nefrit, bring deinem Vater bei, dass er seine Briefe nicht mit
Geliebte Nefrit
beginnt. Hat er als Königlicher Bauleiter denn keine formale Ausbildung zum Schreiber erhalten?«
    Als ich allein war, las ich den Brief:
    »Geliebte Nefrit, zwei Jahre sind vergangen, seit ich Dich in den Tempel brachte. Auf der Baustelle und in meinem Herzen hast Du eine Leere hinterlassen, die so groß war, dass selbst die Pyramide darin hätte versinken können. Ich habe mich derartig in meine Aufgaben vertieft und mich auf einen Streit mit Prinz Nefermaat eingelassen, dass ich kaum Zeit zum Schlafen fand, geschweige denn, Dir einen Brief zu schreiben.
    Letztes Jahr erreichte mich die Entscheidung des Königs, seine Residenz aufzugeben und die Hauptstadt nach Mempi zu

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