Die Herrin der Pyramiden
wir unseren Unterstand verlassen wollten, um in den Palast zurückzukehren, hörten wir jemanden sich unserem Versteck nähern. Eine Gruppe von fünf Männern mit Fackeln in der Hand ging auf das benachbarte Grab zu. Rahotep ergriff meine Hand: »Grabräuber!«
Wir drückten uns in die Schatten der Nische und bewegten uns nicht. Wenn wir entdeckt würden, hätten die Räuber wohl kein Erbarmen mit uns.
Nur wenige Schritte entfernt hörten wir, wie die Steintür zum Grab mit einer langen Stange aufgebrochen wurde. Mit einem lauten Krach fiel die Tür in den Grabkorridor. Die fünf Männer verschwanden mit ihren Fackeln im Inneren.
»Was sollen wir tun?«, fragte ich Rahotep.
»Wir können nichts tun, Nefrit. Wir müssen uns hier verstecken, bis alles vorbei ist. Diese Männer sind zu allem entschlossen. Wenn sie uns finden, werden sie uns töten. Ich bin unbewaffnet.«
Die Grabräuber schleppten die Kisten und Körbe der Grabbeigaben des verstorbenen Ministers der Regierung des Djoser vor das Grab und durchwühlten die randvollen Behälter nach wertvollen Gegenständen. Ich war entsetzt: Die kostbaren Kanopenschreine, die die konservierten inneren Organe des Verstorbenen enthielten, wurden in den Wüstensand entleert und weggeschleppt. Die fünf Männer brauchten erstaunlich wenig Zeit, um das Grab seiner Schätze zu berauben und das Gold, die Weihrauchgefäße, den Schmuck und die Ritualgefäße fortzutragen.
Zum Schluss schleppten sie den hölzernen Sarg vor den Grabeingang. »Ist der schwer!«, stöhnte einer der Männer.
»Gleich nicht mehr«, lachte er anderer.
Mir wurde übel, als ich sah, wie die Grabräuber den Deckel des verzierten Sarkophages aufstemmten, die Mumie hervorzerrten und auf den Boden warfen. Wie konnten Menschen so würdelos mit den sterblichen Überresten eines anderen umgehen? Ich war nahe daran, aus meiner Deckung zu treten, doch Rahotep hielt mich zurück. Als die Grabräuber den Sarg weggeschleppt hatten, kehrten sie zurück, um die Spuren ihres Raubes zu verwischen.
»Was tun wir mit ihm? Wir können ihn hier nicht liegen lassen.«
»Wir legen ihn zurück ins Grab. Da wird von ihm nichts übrig bleiben.«
Zwei Männer schleppten die sterblichen Überreste zurück in seine letzte Ruhestätte. Aus dem Inneren des Grabes drang heller Feuerschein, als die fünf Grabräuber das Gelände verließen. Sie hatten Feuer gelegt, um den Raub zu vertuschen. Alles, was für die Ewigkeit konserviert worden war, wurde ein Raub der Flammen.
Sobald die Männer verschwunden waren, suchten Rahotep und ich die nächstgelegene Polizeistation auf und meldeten den Grabraub, doch die Wachen nahmen uns nicht ernst. »Wer seid ihr, dass ihr nachts um die Gräber streicht?«, lachte der Kommandant.
»Ich bin Prinz Rahotep, Sohn des Lebendigen Gottes, und dies ist Nefrit, Priesterin des Ptah und Tochter des Bauleiters Kamose. Und wer bist du?«
Der Kommandant fiel vor Rahotep auf die Knie. »Ich bitte um Vergebung, mein Prinz. Dein Rang war mir nicht bewusst.«
»Schon gut«, gestand ihm Rahotep zu. »Sag mir lieber, was du zu tun gedenkst angesichts des Grabraubes.«
»Nichts, mein Prinz. Wir können nichts tun. Die Grabräuber sind gut organisiert. Selbst wenn du ein Gesicht beschreiben könntest, würden wir die Räuber niemals ausfindig machen oder gefangen nehmen können. Es ist eine traurige Tatsache, dass mittlerweile beinahe jedes Grab in Sokar ausgeraubt wurde.«
»Jedes Grab?«, echote ich.
»Vergangene Woche wurde sogar versucht, in die Pyramide des Djoser einzudringen.«
»Das ist unglaublich!«, rief Rahotep. »Ich befehle, dass die Nekropole besser geschützt wird. Gib den Toten ihre Ruhe, Kommandant!«
Drei Tage später erreichte mich ein Brief von Sarenput:
»Geliebte Nefrit. Zu meinem Bedauern haben sich in den letzten Wochen Umstände ergeben, die es mir unmöglich machen, Dich zu heiraten. Ich hoffe, dass Du meine Entscheidung verstehen wirst. Ich werde Dich immer lieben. Sarenput.«
Zornig zerriss ich Sarenputs Brief. Welche Umstände hatten dazu geführt, dass er den Widerstand aufgab? Seine Auseinandersetzung mit Djedef hatte ihn in seiner Überzeugung nur bestärkt. Der Wesir war gegen die Heirat, trotzdem hatte Sarenput sein Werben um mich nie aufgegeben. Er hatte nicht einmal aufgehört, sich um mich zu bemühen, als ich selbst ihm eine Absage erteilt hatte. Was war geschehen? Ich erkannte, dass ich nur eine kleine Figur auf dem Brettspiel der Macht
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